Auf dem von der Film- und Medienstiftung NRW im Herbst ausgerichteten Kinokongress wurde einmal mehr konstatiert, dass das Kinopublikum immer mehr überaltert. Ob das allgemein oder nur in bestimmten Segmenten der Fall ist, bleibt mal dahingestellt. Die Filme sahen im vergangenen Jahr jedenfalls alles andere als alt aus.
Gute Filme gab es auch wieder in diesem Jahr – keine Frage. Von Arthaus-Schwergewichten kam einiges auf die Leinwand: Michael Haneke sezierte mit „Happy End“ das Großbürgertum und der Iraner Asghar Farhadi durchleuchtete die moralischen Ansprüche eines intellektuellen Paars in Teheran. Ähnliches leistete mit humorigem Grundton Ruben Östlund mit „The Square“, in dessen Zentrum ein Museumsdirektor steht, der langsam aber sicher den Überblick verliert. Ang Lee widmete sich Anfang des Jahres mit „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ der medialen Ausbeutung eines amerikanischen Kriegshelden. Aki Kaurismäki verlegte das Flüchtlingsthema auf „Die andere Seite der Hoffnung“ beziehungsweise in seine typische hermetische Ästhetik eines sozialrealistischen Märchens. Ebenso artifiziell wagte sich Sofia Coppola an ein Remake des Siebzigerjahre-Eastwood-Dramas „Die Verführten“ um ein Mädchenpensionat und einen männlichen Eindringling. Mädchen-Power ähnlich radikaler Art feierte Jakob Lass mit „Tiger Girl“, seinem ersten größer produzierten Film nach seinem Mumblecore-Erfolg „Love Steaks“. An guten Frauenfiguren war das Jahr auf jeden Fall reich: In „Jahrhundertfrauen“ erzählte Mike Mills von seiner Jugend zwischen Mutter, mütterlicher Freundin und umschwärmter Sandkastenliebe. Paul Verhoeven, um radikale Perspektiven nie verlegen, schickte in „Elle“ Isabelle Huppert gegen einen Vergewaltiger in den Kampf. Das Alter Ego von Helene Hegemann wütete in „Axolotl Overkill“, ihrer eigenen Verfilmung ihres skandalisierten Debütromans „Axolotl Roadkill“, durch das nächtliche Berlin. Nicht zuletzt Fatih Akins neuer Film „Aus dem Nichts“, der für Deutschland ins Rennen um den Auslandsoscar geht, lebt von einer starken Frauenfigur. Diane Kruger wurde dafür in Cannes als beste Darstellerin ausgezeichnet.
Männliche Figuren gab es wie gehabt ungleich mehr, wenngleich nicht immer nette: Kathryn Bigelow, eine der wenigen Regisseurinnen in Hollywood, erzählt in „Detroit“ brandaktuell von rassistischen Übergriffen durch Polizisten im Jahr 1967. Valeska Grisebach interessiert sich in ihrem in Cannes gefeierten „Western“ zwar auch für männliche Archetypen, verhandelt sie aber mit einem faszinierend frischen und empathischen Blick. Man könnte lange so weiter schwärmen: Über berührende Liebesgeschichten wie dem Berlinale-Gewinner „Körper und Seele“, rundum gelungene Komödien mit Herz und Seele wie „The Big Sick“ oder verstörend tänzelnde Jugendrevolten (die Technokomödie „Magical Mystery“, das Terrordrama „Nocturama“ und natürlich Jim Jarmuschs Stooges-Doku „Gimme Danger“ mit Iggy Pop). Aber mit geschrumpften Menschen („Downsizing“) und fatalen Plakataktionen („Three Billdboards ...“) geht es im Januar gleich weiter mit großartigen Filmen. Auf geht‘s!
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