Nichts gegen die Künstlerporträts! Mit ihnen ist Benjamin Katz zu Recht berühmt geworden, gerade auch weil sie die Wahrnehmung einzelner Künstler geprägt haben. Sie zeigen den selbstbewussten Georg Baselitz und den sonst so öffentlichkeitsscheuen Eugen Schönebeck, Marcel Broodthaers mit seiner Tochter aus dem Zug winkend oder Rosemarie Trockel. Meist sind die Künstler im Atelier oder beim Ausstellungsaufbau, oft entspannt und konzentriert, manchmal flapsig im Bewusstsein der Kamera, so wie Penck und James Lee Byars, die links und rechts einer Skulptur von Baselitz zu tanzen scheinen. Benjamin Katz wurde auch beauftragt, den Aufbau ganzer Großausstellungen zu fotografieren, wobei über die reine Dokumentation hinaus fotografische Meisterwerke entstanden sind. Für beides ist Katz prädestiniert: Die Dokumentation und die Kunst; das Vertrauen der Künstler hat er sowieso.
Benjamin Katz wird 1939 in Antwerpen geboren, als Jude überlebt er mit seiner Mutter den Naziterror nur mit Glück. Er studiert an den Kunstakademien in Tournai und West-Berlin. 1963 gründet er in Berlin mit Michael Werner eine Galerie, die er später alleine führt. 1972 zieht er nach Köln. Das Jahr 1976 gibt er als Beginn seiner Tätigkeit als Fotograf an; seine internationale Ausstellungskarriere setzt 1985 ein und hält bis heute an. Im Mittelpunkt dabei: die Künstlerporträts. Mehr und mehr aber kommen weitere Schwarz-Weiß-Werkgruppen zum Vorschein, die Menschen im urbanen Alltag sowie Landschaften schildern.
Dass die ganz eigene Intensität, das Gespür für Abstand und Nähe und der feine Humor aber schon früh vorlagen, zeigt jetzt im Museum Ludwig die Werkgruppe „Berlin Havelhöhe“, die Katz während eines anderthalbjährigen Sanatorium-Aufenthaltes 1960-61 aufgenommen hat. Die Fotografien besitzen ein moderates, am Quadrat orientiertes Format. Im Wechsel der Motive scheint etwas Flanierendes auf, wobei die Aufnahmen selbst präzise, genau komponiert und voller Hingabe sind. Erst allmählich wird deutlich, dass sich alles auf dem Gelände des weitläufigen Krankenhauses abspielt. Dann kommen die Trennungen von Innen und Außen in den Blick – schon indem Katz durch eine gitterartige Skulptur aus stilisierten Vögeln hindurch fotografiert – dann fällt die Kargheit der Räume auf und der Mann im weißen Kittel lässt sich nun zuordnen. Die Männer auf der Bank behalten den ernsten Blick, signalisieren aber auch ihr Vertrauen dem Fotografen gegenüber. Die Reste der Naziherrschaft – mit den zerbrochenen Steinskulpturen – sind noch zu spüren. Und Katz arbeitet mit der Kamera experimentell, etwa wenn er von oben auf eine Treppe fotografiert, und zitiert Meilensteine in der Geschichte der Fotografie.
Die Ausstellung im Museum Ludwig ist grandios und gerade in der Intimität der Fotografischen Sammlung am richtigen Platz. Wenn doch etwas ärgerlich ist, dann, dass im Stockwerk darunter die Künstlerporträts von Benjamin Katz so kümmerlich präsentiert sind. Schließlich ist auch – neben der Qualität des Werkes und dem Erwerb von „Berlin Havelhöhe“ für die Sammlung des Museums – der runde Geburtstag zu würdigen: Happy Birthday, Benjamin Katz!
Benjamin Katz – Berlin Havelhöhe 1960/61 | bis 22.9. | Museum Ludwig | 0221 22 12 61 65
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