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Auf dem Weg in die nächste Katastrophe: Kristine Funkhauser als Sibel u. Radoslaw Wielgus als Cahit
Stefan Kühle

Beim Therapeuten für Selbstmord-Kandidaten

31. März 2011

Eine Oper in straffer Szenenfolge. Fatih Akıns „Gegen die Wand“ in Hagen - Oper in NRW 04/11

Cahit ist 40 und am Ende, ein Wrack. Seine Fahrt mit dem Auto gegen die Wand sollte sein Leben endgültig abschließen. Doch selbst das geht noch schief. Also macht er so weiter wie bisher, säuft sich dem Tode Stück für Stück entgegen und wird zum „Schmerzjunkie“ der sehenden Auges den Abgrund sucht. Auch deshalb lässt er sich auf die Scheinehe mit der jungen Sibel ein, die er beim Therapeuten für gescheiterte Selbstmörder kennen lernt und die von ihm nur ein Alibi will, um ihr Leben in eine große Partie zu verwandeln. Beide teilen einen gefährlichen Hang zum Exzess – und dass sie als Deutschtürken zwischen den engen Moralvorstellungen ihrer Eltern und der scheinbar großen Freiheit der Konsumgesellschaft ihrer deutschen Heimat stehen.

„Wechselspiel von jugendlicher Lebensgier und exzessiver Selbstzerstörung”

2004 machte Fatih Akın mit seinem Film „Gegen die Wand“ Furore. Nach 17 Jahren holte er erstmals wieder einen Goldenen Bären nach Deutschland. Als drittes Opernhaus nach Bremen und Stuttgart zeigt nun das Theater Hagen Vollmers Opernvertonung des Stoffs. Intendant Norbert Hilchenbach setzte das Stück mit großem Aufwand in Szene. Mit gut zwei Stunden Aufführungsdauer hat Vollmers Dreiakter das übliche Opernformat. Was ihn deutlich unterscheidet, ist das hohe Tempo der Handlung. Es gibt keine Arien mit endlosen Wiederholungen, sondern eine zügige Szenenfolge, die sich an der Schnitttechnik beim Film orientiert. Damit will Vollmer heutigen Sehgewohnheiten Rechnung tragen. Die Aufmerksamkeit des Publikums wird unmittelbar gebannt – was nur funktionieren kann, weil die Besetzung stimmt. Mezzosopranistin Kristine Funkhauser singt und spielt als Sibel eine ihrer herausragendsten Rollen in Hagen. Das Wechselspiel von jugendlicher Lebensgier und exzessiver Selbstzerstörung gelingt ihr durchweg überzeugend. Stimmlich ist sie ungemein präsent, fesselt mit einem festen, durchdringenden Timbre, mit hoher Kontrolle über die anspruchsvollen Feinheiten, die ihr manche orientalisch gefärbte Melodie abverlangt.

Als Cahit holt sich Hilchenbach einen Gast ans Haus, der ihm bereits als „Dead Man Walking“ zu einem glänzenden Einstand in Hagen verhalf. Bariton Radoslaw Wielgus ist als ausgebrannter Lebensmüder, der über seine tragische – und letztlich unerfüllte – Liebe zu Sibel zurück ins Leben findet, eine charismatische Besetzung. Auch die kleineren Partien können durchweg überzeugen. Glanzvoll und dramaturgisch geschickt sind auch die Tanzeinlagen von Ricardo Viviani und Bärbel Stenzenberger, die Sexszenen subtil, aber unverklemmt – und technisch akrobatisch – in Choreographien umsetzen.

Vollmer instrumentiert die Kammerorchesterbesetzung mit einigen traditionellen türkischen Instrumenten und lässt die Sänger auch zu einem runden Drittel in türkischer Sprache (mit Übertiteln) singen. Umso erstaunlicher ist es, dass an der Hagener Produktion kaum türkische Darsteller und Musiker beteiligt sind. Sieht man von den Feinheiten ab, die dem deutschen Publikum zwangsläufig verschlossen bleiben, ist es allerdings eine durchweg starke und fesselnde Produktion.

„Gegen die Wand“ Oper von Ludger Vollmer nach dem Film von Fatih Akin, R: Norbert Hilchenbach, I Theater Hagen I Fr 1.4. 19.30 Uhr, Sa 2.4. 19.30 Uhr | 02331 207 32 18

Karsten Mark

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