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Michael Lonsdale u. Max Von Sydow in „Les Premiers, les derniers“ von Bouli Lanners
Foto: Kris Dewitte

Auf Abwegen

20. Februar 2016

Berlinale jenseits des Wettbewerbs – Festival 02/16

Es war eigentlich wie immer: Der Wettbewerb – durchwachsen. Man findet dort jedes Jahr wie in allen anderen Sektionen des Festivals Perlen, Entbehrliches und Ärgerliches. Perlen wie beispielsweise Mia Hansen-Løves Frauenporträt „L‘avenir“ mit Isabelle Huppert, Gianfranco Rosis Flüchtlingsdoku „Fuocoammare“ oder Rafi Pitts Greencard-Drama „Soy Nero“. Über das Entbehrliche und Ärgerliche sollte man sich hingegen zu Gunsten der vielen spannenden Beiträge in den Sektionen „Panorama“ und „Forum“ ausschweigen. Warum genau welcher Film in welcher Sektion läuft wird man sowieso nie verstehen können. Die Chancen für Fehlgriffe wie für positive Überraschungen sind überall gleich, nur dass man in den Nebensektionen eher die Möglichkeit hat, neue Talente zu entdecken.

Im Panorama lief das Debüt „The Ones Below“ des Briten David Farr um zwei Pärchen, die jeweils ein Kind erwarten und sich immer mehr in das Leben des jeweils anderen Paares verstricken. Perfekt inszeniert, wirkt der Film mit seinem Twist am Ende dennoch nur wie eine handwerklich sehr gute Fingerübung, weil er über seine Story hinaus wenig zu erzählen hat. „The Ones Below“ wirkt wie eine Bewerbung für eine Karriere im soliden Mainstreamkino. „Les premiers, les derniers“ ist bereits der vierte Langfilm des Belgiers Bouli Lanners. Lanners ist aber vor allem als Darsteller bekannt („Louise Hires a Contract Killer“, „Der Geschmack von Rost und Knochen“). In seinem neuen Film herrscht zunächst die typisch schwarzhumorige Tristesse des belgischen Kinos. Doch was wie ein belgischer Neo-Western mit düsteren und brutalen Ansätzen beginnt, wenn sich zwei Gangster aufmachen, ein junges, streunendes Paar zu verfolgen, endet nicht im Gemetzel, sondern wird mit jeder Minute humanistischer. Nicht nur Max von Sydow hat einen Gastauftritt, sogar Jesus taucht in diesem berührenden Kleinod auf, ohne dass es einen sonderlich überraschen würde. Längst etabliert sind die Macher von „Maggie‘s Plan“: Rebecca Millers Komödie, die mit ihrem Wortwitz, dem Tempo, dem Esprit und den vielen intellektuellen Verweisen deutlich in der Tradition von Woody Allen steht, überzeugt außerdem mit sympathischen Protagonisten und deren drei Hauptdarstellern Ethan Hawke, Julianne Moore und Greta Herwig.

Im Forum wird es dann etwas experimenteller. Es ist immer wieder beeindruckend, auf der Berlinale riesige, ausverkaufte Säle zu erleben, deren Leinwand ein mehr oder weniger experimenteller Spielfilm füllt. Eine Parallelwelt! Ein Film wie „How Heavy This Hammer“ des Kanadiers Kazik Radwanski hat sicherlich keine Chancen auf eine normale Kinoauswertung. Radwanski rückt seinem Protagonisten, einem fettleibigen, computerspielsüchtigen und lethargischen Familienvater mit der Kamera extrem nah auf die Pelle. Ein trauriger Film, der weder Anfang noch Ende hat, aber seine Figuren ernst nimmt. Auch der in Los Angeles entstandene Film „Hee“ von Kaori Momoi liefert den Zuschauer seinen Protagonisten sehr direkt aus. Momoi ist schon seit Jahrzehnten als Darstellerin bekannt, hat mit Kurosawa ebenso gearbeitet wie mit Takashi Miike und ist auch im aktuellen Film von Doris Dörrie zu sehen. Ihre zweite Regiearbeit „Hee“ zeigt die Therapiestunden einer Frau mittleren Alters. Zunächst erzählt sie von einem Kindheitstrauma. Jahre später sitzt sie wieder bei dem Therapeuten, dieses Mal in Handschellen. Momoi setzt uns eine Frau vor, die wir kaum begreifen können und die wie der Familienvater von Radwanski keine Sympathieträgerin ist. Aber beide Filme zwingen uns durch ihre radikale Inszenierung geradezu in die Konfrontation mit Menschen, denen wir ohne diese Filme nicht begegnet wären. 

Christian Meyer

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