Meeresrauschen. Zirpende Grillen. Berge. Der Militärarzt Hans Löber fühlt sich wie im Paradies. 1943 hat er den Befehl, hier auf der griechischen Insel Milos ein Krankenhaus einzurichten. Wenn nicht gerade verletzte Soldaten versorgt werden müssen, hat er Zeit, sich um die Einheimischen zu kümmern und sich mit ihnen anzufreunden. Er ist eine Art apolitischer Lawrence von Arabien im ganz Kleinen – und auf der falschen Seite. Die 57 Briefe an seine Frau, die erst vor wenigen Jahren veröffentlicht wurden, geben Auskunft über seine Stimmungen und Gedanken.
In der Reihe „Deine Geschichte“, mit denen die griechische Regisseurin Elissavet Hasse die „anderen Geschichten“ aus dem Krieg auf die Bühne bringt, die aus einem Schwarz-Weiß-Bild der Geschichte herausfallen, wird nach Aufführungen in Athen auch in Köln mit neuer Besetzung diese wahre Episode erzählt. Die wesentliche Orientierung bieten dabei die zitierten Briefe, darüber hinaus ist das Stück eine Herausforderung mit viel Symbolik und oft im Unklaren gelassenen Rollenverteilungen, abgesehen von Dannie Lennertz in der Titelrolle – alles soll konkret sein, aber auch über das Historische hinausweisen.
In oft dichterischer Sprache klopft Autor Jürgen Himmelsbach die in den Briefen natürlich nicht umfänglich berichtete Situation vor allem psychologisch bis in die Winkel ab, indem er Löber mit seiner eigenen Ambivalenz und mit naheliegenden Vorwürfen teilweise unbekannter Herkunft konfrontiert, bis hin zu einer hochemotionalen Rechtfertigungsszene, einem Dialog zwischen heute und gestern, der den Bogen auch in die griechisch-deutsche Gegenwart schlägt. „Ich tue Gutes nur damit“, heißt es einmal, als er auf seine Rangabzeichen angesprochen wird. Barbara Fernández ist leider wenig als die treue Krankenschwester zu sehen, die das griechische Gegenstück zu ihm bildet. Eher spielen Fernández und Klaus Prangenberg zynische Spiegel-Hochhalter und repräsentieren die einordnende Welt, in die Löber wohl wirklich nicht mehr passte. Junge Performer in Schwarz begleiten das Stück vorwiegend als geisterhafte Repräsentation der Weltverhältnisse.
Dass hier Vergangenheitsaufarbeitung und deutsch-griechische Verständigung stattfinden, merkt man auch an den Publikumsreaktionen. So meldeten sich am Sonntag in einer Diskussion Menschen zu Wort, die beruflich oder privat eine Beziehung zu Stoff und Thematik hatten und sich trotz kleinerer Verständnisprobleme sehr ergriffen fühlten. Das liegt auch an der Authentizität, die sich den Briefen und den Vor-Ort-Recherchen verdankt. Löbers Sohn, der seinen im Krieg gefallenen Vater nicht kennenlernte, berichtete, dass dieser auch nach 75 Jahren den Insulanern noch als eine positive Kraft in Erinnerung sei, obwohl nur noch zwei seiner ehemaligen Patienten am Leben sind. Dies sei, auch angesichts deutscher Verbrechen, unglaublich und sehr bewegend.
„Hans – Mitten im Einen das Viele“ | R: Elissavet Hasse | 30.1.-2.2. 20 Uhr | Orangerie – Theater im Volksgarten | 0221 952 27 08
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