Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
7 8 9 10 11 12 13
14 15 16 17 18 19 20

12.606 Beiträge zu
3.829 Filmen im Forum

„Joseph und seine Brüder“
Foto: Sebastian Hoppe

Archäologie des Kapitalismus

01. April 2009

"Joseph und seine Brüder" und "Der letzte Riesenalk" in Köln und Düsseldorf - Auftritt 04/09

Nachdem John von Düffel vor zwei Jahren für das Düsseldorfer Schauspielhaus Thomas Manns Bürgertums-Bibel „Buddenbrooks“ dramatisiert hat, wagte er sich jetzt an dessen „Opus magnum“, den 1926-42 entstandenen antinazistischen mythischen Gegenentwurf „Joseph und seine Brüder“. Eine „verschämte Menschheitsdichtung“ (Thomas Mann), die das Weiterwirken des Mythos’ im Individualschicksal und eine Archäologie des Kapitalismus beschreibt. Im Düsseldorfer Schauspielhaus macht Regisseur Wolfgang Engel daraus einen beeindruckenden Abend, der ohne jedes szenische Brimborium ganz aus dem Text entwickelt ist.

Olaf Altmann hat eine Arenabühne aus Sperrholz entworfen, eine Art Marktplatz, auf dem der Mythos verhandelt wird. Die Geschichte um Joseph, seinen Zwist mit den Brüdern, die Heirat Leas anstatt der geliebten Rahel, läuft darin in stilisiert einfachen, dafür aber umso sinnfälligeren Bildern ab. Eine kleine spritzende Fontäne signalisiert Josephs erfolgreiche Arbeit bei seinem Onkel, ein Schleierhaufen erzählt von der ungeschobenen Braut. Der Joseph des Michele Cuciuffo ist ein jungenhafter Charmeur, dem seine Selbstgefälligkeit immer wieder zum Verhängnis wird. Der dunklen, bäuerlichen Welt tritt dann das strahlend helle, dekadente Ägypten entgegen. Trockener Witz, ästhetischer Feinsinn, erotische Verlockung - Joseph tritt fasziniert ins Getriebe einer Weltmacht ein und macht durch die Deutung des Pharao-Traums von den sieben mageren und sieben fetten Jahre Karriere und steigt zum Wirtschaftsminister des Landes auf. Trotz gelegentlicher Schwächen gelingen Wolfgang Engel auch hier faszinierende Bilder, deren Wirkung vor allem dem impulsiven Spiel und der bedrängenden Präsenz der Darsteller zu verdanken ist - auch wenn knapp sechs Stunden Spieldauer die Kondition gehörig strapazieren.

Am Kölner Schauspielhaus liefert Regisseurin Anna Viebrock dagegen mit „Der letzte Riesenalk“ einen mitunter allzu verrätselten Beitrag zum Darwin-Jahr ab. Im Zentrum steht der einsame Forscher Ludwig (Josef Ostendorf), der in einer tristen Forscherklause aus Schlafzimmer, Wohnzimmer und Arbeitszimmer operiert. Eigentlich jedoch mehr ein Terrarium, das auf eine ausgestorbene Menschenart hindeutet. Während Ludwig mit melancholischem Gleichmut Mikroskope präpariert, quellen aus Unterschränken und Heizung Menschen hervor. Ein Wärter erklärt einer Besuchergruppe die Ausstellungslage des ausgestorbenen Riesenalk- Vogels. Ein Reporter interviewt den Forscher Ludwig und bekommt nur eine Mischung aus Orgeltönen, Maschinengeräusch und Vogelzwitschern. Der Abend zeigt mit poetischer Versponnenheit die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen animal sauvage und animal triste, zwischen Tier und Mensch, doch vieles an dieser 100minütigen Aufführung bleibt allzu rätselhaft oder verliert sich im selbstgefällig Spielerischen - so schlecht, wie der Premierenbusturm des Publikums suggerierte, ist die Aufführung allerdings nicht.

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.

Neue Kinofilme

Superman

Theater am Rhein.