„Abschied vom Kino“ lautete Anfang Mai das Credo der 64. Oberhausener Kurzfilmtage. Aber Festivalleiter Lars-Henrik Gass sprach dieses Mal nicht vom Ende des Kinos – gemeint war die Abkehr des künstlerischen Films vom Kino und dessen Eroberung der Museen. Um kultur- bzw. kinopessimistische Thesen ist Gass sonst allerdings nicht verlegen. Das belegt sein Buch „Film und Kunst nach dem Kino“ aus dem Jahr 2012, das Ende 2017 in überarbeiteter Form neu erschien und Kino als eine „kulturelle Praxis, die im Verschwinden ist“ beschreibt. Seine Überzeugung vom Ende des Kinos vertrat er auch auf der gleichnamigen Podiumsdiskussion mit der Filmhistorikerin Lisa Gotto, dem Filmkritiker Daniel Kothenschulte und Hans Peter Schwerfel, dem Leiter des Münchener Festivals „Kino der Kunst“, die Anfang April im Filmforum NRW stattfand. Eine etwas wehmütige Diskussion, die zum Ende dann doch zu ein paar kulturpolitischen Forderungen zur Bewahrung des Filmerbes fand.
„Zukunft deutscher Film“ nannte sich hingegen ein Kongress, der Anfang April im Rahmen des Lichter Filmfest in Frankfurt Perspektiven der deutschen Film- und Kinokultur diskutierte. Um Forderungen zur Zukunft des zeitgenössischen Films und Kinos war man hier nicht verlegen. Als Ergebnispapier wurden Ende April die „Frankfurter Positionen zur Zukunft des deutschen Films“ vorgelegt. Dem vorangegangen war, dass Regisseur Edgar Reitz im Jahr 2016 als Schirmherr des Festivals das System von Filmherstellung und -verbreitung in Deutschland als Sackgasse beschrieb und damit viel Zustimmung aus der Branche erntete. Auf der Produktionsseite attestierte er träge Prozesse und künstlerische Kompromisse, auf der Vertriebsebene unbewältigte Herausforderungen einer neuen Medienwelt. Für das diesjährige Festival wurden zahlreiche, sehr unterschiedliche Protagonisten der Filmbranche zur Diskussion geladen, an dessen Ende das online abrufbare Ergebnispapier präsentiert wurde, das in diesem Land einen Aufbruch in Film und Kino bewirken möchte. Die Themen reichten von Förderung und Finanzierung über Nachwuchs und Ausbildung bis hin zu Kinokultur und Distribution.
Positives Echo erfuhr Edgar Reitz‘ Vorstoss auch auf dem Symposium „Dokumentar-Film-Kultur“ der Dokumentarfilminitiative, das am 19. April im Filmforum NRW stattfand. Im ersten Teil „Netzwerke und Kollektive“ (für den 20. und 21. September ist ein zweiter Teil des Symposiums zum Thema „Eigensinnige Filme“ angekündigt) stellten verschiedene Kollektive ihre Strategie des Zusammenschlusses vor, darunter aus Köln die Filmcooperative Petrolio und die Anfang des Jahres gegründete Dokomotive Plattform. Der Wunsch, im solidarischen Kollektiv Kräfte zu bündeln resultiert aus den immer schwierigeren Bedingungen für die Dokumentarfilmproduktion und -distribution. Über die Wege und Ziele wurde auf dem Symposium angeregt gestritten. Aber das ist ein Zeichen von Lebendigkeit und zeigt die Notwendigkeit der Diskussion. Einen Abschied vom Kino bedeutet das nicht – im Gegenteil: Vielleicht braucht es nur ein neu gedachtes Kino!
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