Der Regisseur Karim Aïnouz hat bislang sehr unterschiedliche Filme gemacht, vom Indie-Schwulen-Drama „Praia do Futuro“ bis zur Flüchtlingsdoku „Zentralflughafen THF“. Mit „Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão“ (Filmpalette, Odeon, OFF Broadway) wagt er sich an ein visuell opulentes, elegant in vergilbten Tönen gedrehtes Frauendrama im Rio der 50er Jahre: Eine junge Frau brennt durch, bekommt ein Kind und kommt ohne Ehemann zurück – der Vater verstößt sie. Die andere Schwester träumt vom Konservatorium, landet aber statt am Klavier als Mutter und Hausfrau in der Enge der Ehe. Die Kraft dieser Frauen scheint nur durch Intrigen der Männer aufzuhalten zu sein… Was hätte Kitsch werden können, ist unter Aïnouz‘ Regie ein grandioses feministisches Melodram geworden und zu Recht Brasiliens Beitrag für den Oscar 2020.
Die Witwe prustet vor Lachen los. „Mein Mann und ein Buch schreiben? Der schrieb höchstens Einkaufszettel.“ Aha. Der berühmte TV-Literaturkritiker Jean-Michel wähnt sich also auf der richtigen Spur. Auf einer Insel in der Bretagne sucht er nach der wahren Identität des Bestsellerautors Henri Pick, der vor zwei Jahren gestorben ist und sein Manuskript in einer „Bibliothek der abgelehnten Bücher“ verstauben ließ. War es wirklich Pick, der einfache Insel-Pizzabäcker, der „Die letzten Stunden einer großen Liebe“ verfasst hat? Bald trifft der intellektuelle Stadtmensch auf verschrobene Insulaner, feierfreudige Frauengrüppchen – und Picks resolute Tochter. Fabrice Luchini ist als Kritiker-Detektiv in Rémi Bezançons „Der geheime Roman des Monsieur Pick“ (Rex am Ring) souverän-komisch wie zu besten Rohmer- und Lelouch-Zeiten.
7500: der Code für Flugzeugentführung. Pilot Elias (wie immer spitze: Joseph Gordon-Levitt) muss 7500 eingeben, als Terroristen versuchen, sein Cockpit zu stürmen. Was als Routineflug startet, entwickelt sich zu einem spektakulären Drama und zum spannendsten Film des Jahres. Die Entscheidung von Regisseur Patrick Vollrath, mit der Kamera im Cockpit zu bleiben, enorm schwierig auf so wenig Raum, macht den beengten Entscheidungsradius des Piloten hautnah spürbar. Jenseits der Tür befinden sich die Terroristen, die Passagiere und die Crew, darunter Elias‘ Frau. Was dort geschieht, kann er nur über einen kleinen Schwarzweiß-Bildschirm sehen oder ahnen. „7500“ (Cinedom, Filmpalette, UCI) ist mehr als ein Thriller, er entwickelt auch das menschliche und moralische Dilemma eines Mannes, der scheinbar keine Wahl mehr hat.
Außerdem neu in den Kinos: Salvador Simós soeben mit dem Europäischen Filmpreis prämierter Animationsfilm „Buñuel – Im Labyrinth der Schildkröten“ (ab 2.1. in der Filmpalette), Ron Howards Doku „Pavarotti“ (OmU im Cinenova und OFF Broadway), SABUs episodischer Trash-Krimi „Jam“ (OmU in den Lichtspielen Kalk), Caroline Links Bestsellerverfilmung „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ (Cinedom, Cinenova, Cineplex, Residenz, Rex am Ring, UCI, Weisshaus) und Tom Hoopers Musicaladaption „Cats“ (Cinedom, Cineplex, Rex am Ring, UCI, OmU im Metropolis). Für Kinder starten Nick Brunos und Troy Quanes Agenten-Animation „Spione Undercover - Eine wilde Verwandlung“ (Cinedom, Rex am Ring, UCI) und Nina Wels' und Regina Welkers Animationsabenteuer „Latte Igel und der magische Wasserstein“ (Cinedom, Cinenova, Metropolis, Rex am Ring, UCI).
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