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Käthe Kollwitz, Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden, 1941, Kreidelithographie
© Käthe Kollwitz Museum Köln

Zeugen der Geschichte

26. Juli 2018

„Zeitenwende(n)“ im Käthe Kollwitz Museum – kunst & gut 08/18

Käthe Kollwitz illustriert keine deutsche Geschichte. Aber sie begleitet und kommentiert diese und ihre sozialen Folgen wie auch die politischen Umbrüche: in ihren Zeichnungen, Druckgraphiken und mitunter auch den Plastiken. Eine hohe Meisterschaft kennzeichnet selbst ihre angewandte Kunst: die Plakat- und Umschlagentwürfe, die als Aufträge oder Solidaritätsaktionen auf konkrete Ereignisse und gesellschaftliche Anliegen hin entstanden sind. Die engagierte Auseinandersetzung mit ihrer Umgebung äußert sich schließlich darin, dass sie mit ihrem Stil auf die Ereignisse reagiert. In den Sujets aber, die vom Menschen ausgehen, bleibt sie sich durch die Jahrzehnte hinweg treu.

Das und die dokumentarische Bewusstmachung der unruhigen Zeiten, in denen Käthe Kollwitz (1867-1945) gelebt hat, gehören mit zu den wichtigen Erkenntnissen der Ausstellung „Zeitenwende(n)“ im Museum am Neumarkt. Die Schau ist auch deshalb großartig, weil sie in aller Sorgfalt herausarbeitet, wie die Kollwitz die Balance von drängenden Themen und künstlerischer Qualität meistert, über was für ein weites und doch konzentriertes Repertoire sie verfügt und dass sie immer auf der Höhe ihrer Zeit ist.

Und was waren das für Zeiten! Soziale Missstände und Luxus, der Aufstand des Proletariats und politische Machtausübung, Krisen und industrieller Fortschritt wechselten sich rasch ab, zumal unter dem Eindruck von zwei Weltkriegen. Schließlich umfasste ihr Leben die Zeitspanne vom Wilhelminischen Kaiserreich Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945. Damit ist diese Ausstellung eine Retrospektive unter Betonung der politischen und sozialkritischen Kunstwerke und ein profunder Einblick in die politischen Verhältnisse und die Sozialgeschichte dieser Zeit, weitgehend aus Berliner Perspektive.

Hannelore Fischer
Foto: Kaethe Kollwitz Museum Köln/Felix Mayr
DIE DIREKTORIN
Hannelore Fischer leitet das Kölner Käthe Kollwitz Museum seit 1990 und hat die weltweit umfangreichste Sammlung an Werken der Künstlerin aufgebaut. Die Kunsthistorikerin zählt außerdem zu den renommiertesten Kollwitz-Experten.

In der Ausstellung werden die Ereignisse in Deutschland, flankiert von Dokumentationsmaterial in Vitrinen, parallel zur Kunst der Kollwitz vorgestellt. Diese Kunst ist niemals glatt, vielmehr vom Experiment geprägt, vom Ringen um Ausdruck, das wird zumal in der Abfolge ganzer Serien und Variationen deutlich. Intensität und mentale Beherrschung werden besonders anschaulich, wenn eine Mutter ihre Kinder schützend in die Arme schließt. Verzweiflung geht direkt über ins Aufrührerische: Die eigenen Erlebnisse in der Familie und im Freundeskreis spielen noch in die Kunst hinein. Und Käthe Kollwitz wendet sich unpopulären Problemen zu, etwa der Not der Ärmsten und Unzulänglichkeiten im medizinisch-hygienischen Bereich.

Kollwitz lernt früh die Schriftsteller Gerhard Hauptmann und Arno Holz kennen, sie studiert Kunst in Berlin und München, heiratet 1891 und zieht mit ihrem Mann, einem Arzt, nach Berlin. Mit ihrem Grafikzyklus „Ein Weberaufstand“ (1897) gelingt ihr der künstlerische Durchbruch. Die Museen erwerben ihre Bilder, sie wird Mitglied der Berliner Secession und stellt in Paris aus, wo sie 1904 Unterricht in Bildhauerei nimmt: Von Haus aus ist ihr Metier die schwarze Linie auf der weißen Fläche, als unmittelbare handschriftliche Übertragung der Gefühle. Prägend ist der Tod des Sohnes im Ersten Weltkrieg. Sie wird zur Pazifistin. Ihre künstlerische Anerkennung und politische Glaubwürdigkeit führen 1919 zur Beauftragung, den ermordeten, aufgebahrten Karl Liebknecht zu zeichnen. Die Sympathie mit den links orientierten Parteien äußert sich schließlich darin, dass sie 1932 gemeinsam mit Albert Einstein und Heinrich Mann einen Aufruf gegen die Nationalsozialisten startet und diesen nach der Machtergreifung wiederholt. Sie wird mit Repressalien bestraft, muss Ausstellungen absagen, verliert ihr Atelier und muss nun unter verhältnismäßig ärmlichen Umständen leben, zumal 1939 ihr Mann seine Praxis schließt. Als Künstlerin aber arbeitet sie unbeirrt weiter.

Deutlich wird in der Ausstellung, für die man ruhig Zeit mitbringen sollte, wie intensiv Käthe Kollwitz in ihrer Kunst ist und dass gute Kunst Ausdruck ihrer Zeitumstände ist. Und ganz nebenbei vermittelt sie, was für einen großartigen Bestand an Kunstwerken das Museum für Käthe Kollwitz beherbergt.

Zeitenwende(n) – Aufbruch und Umbruch im Werk von Käthe Kollwitz | bis 16.9. | Käthe Kollwitz Museum Köln | 0221 227 28 99

Thomas Hirsch

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