Käthe Kollwitz und eigentlich immer Käthe Kollwitz, dazwischen anderslautende Wechselausstellungen, aber auch diese mit Bezug zur Kollwitz: Seit seiner Gründung 1985 dreht sich das ihr gewidmete Museum völlig korrekt um die große deutsche Künstlerin. Aber wird das nicht langweilig, ist das Werk nicht sowieso historisch, in seinen Techniken und Gattungen allzu konventionell und dadurch irgendwie jenseits von Gut und Böse? Ganz und gar nicht! Das belegt jetzt auch die Ausstellung „Liebe und Lassenmüssen…“, die die persönlichen Ereignisse hinter den Werken der sozialkritischen Künstlerin freilegt. Was Käthe Kollwitz dabei an Empfindungen vermittelt, ist nach wie vor aktuell und berührend. Die besondere Leistung dieser aus den Sammlungsbeständen konzipierten Ausstellung besteht in der Intensivierung dort, wo das Glück überschäumt und der Schmerz das Herz zerreißt. Käthe Kollwitz ist vor allem für die Großstadt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine unverzichtbare Chronistin. Nicht der Wohlstand ist die Sache ihrer Zeichnungen, Druckgraphiken oder Skulpturen, sondern das Darbende, das Leid und das Trauern, aber auch die Liebe und die Glückseligkeit. Sie fängt die Emotionen, vermittelt über die Mimik und Gesten und die innige Nähe unter Menschen, ein, so wie sie jeder durchlebt. Was die Kollwitz zeigt, ist kein Symbolismus, sondern Realismus.
Käthe Kollwitz (1867-1945) hat Malerei und Zeichnung an der Kunstakademie München und Bildhauerei in Paris studiert. Nach ihrer Heirat zieht sie mit ihrem Mann 1891 nach Berlin, wo ihre beiden Söhne zur Welt kommen. Prägend wird für sie das Stück „Die Weber“ von Gerhard Hauptmann, der sie zum Druckgrafikzyklus „Ein Weberaufstand“ (1897) führt: Dieser verhilft ihr zum künstlerischen Durchbruch. Zu den einschneidenden Ereignissen, die sie in ihrer Kunst festhält, gehören die lebensbedrohliche Erkrankung ihres älteren Sohnes Hans und dann der Tod ihres anderen Sohnes Peter im Ersten Weltkrieg. 1921 und 1923 werden ihre Enkelkinder geboren; 1925 stirbt ihre Mutter, die seit 1919 in der Wohnung der Familie gelebt hat. Viele Werke widmen sich der partnerschaftlichen Liebe, weitere dem innigen Verhältnis der Mutter zu ihrem Kind, andere zeigen das Altern der Liebsten und Nächsten. Dabei ruft Kollwitz das gesamte Repertoire zeichnerischer und druckgrafischer Finessen ab. Der Werküberblick im Museum ist dazu weitgehend chronologisch gehängt. Ausgestellt ist auch die wohl letzte Zeichnung, die die Kollwitz kurz vor ihrem Tod angefertigt hat. Begleitet wird der Rundgang von Zitaten aus den Tagebüchern.
Natürlich trägt die Ausstellung den Ton stiller Nachdenklichkeit. Vielleicht ist eine Ausstellung, die von Emotionen handelt und dabei Hoffnung spendet, in diesen Monaten sowieso das Beste. Dass die Ausstellungsräume unter dem Dach der Neumarktpassage seit eh und je etwas Unbehaustes haben: geschenkt. Die Bilder – und zwar so, wie sie präsentiert sind – sind eine intensive Erfahrung auch unserer Zeit.
„Liebe und Lassen müssen...“ – Persönliche Momente im Werk von Käthe Kollwitz | bis 20.9. | Käthe Kollwitz Museum, Kreissparkasse Köln | 0221 227 28 99
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Aus dem Schatten ins Licht
Ein Abschied, ein Buch und andere Bilder im Käthe Kollwitz Museum – kunst & gut 04/22
Zeichnungen einer großen Malerin
Maria Lassnig im Käthe Kollwitz Museum Köln – kunst & gut 11/21
Das Leben in schweren Zeiten
„Berliner Realismus“ im Käthe Kollwitz Museum – kunst & gut 10/19
Eine Sekunde
Das fotografische Werk von Anja Niedringhaus – kunst & gut 05/19
Ordnung im Blick
Die Fotografin Eva Besnyö im Käthe Kollwitz Museum – kunst & gut 11/18
Zeugen der Geschichte
„Zeitenwende(n)“ im Käthe Kollwitz Museum – kunst & gut 08/18
Augenzeugin mittendrin
Tremezza von Brentano im Käthe Kollwitz Museum – kunst & gut 02/18
Vom Menschen in Krisenzeiten
Eine Auswahl der Käthe-Kollwitz-Preisträger im Museum am Neumarkt – kunst & gut 11/17
Mit den Augen des Bildhauers
Auf dem Weg zum Denkmal: Gustav Seitz im Käthe Kollwitz Museum – kunst & gut 08/17
Sieben Blätter
„Bauernkrieg“: Ein druckgraphisches Hauptwerk von Käthe Kollwitz im Museum am Neumarkt – kunst & gut 05/17
Wahrhaft echt und ungefärbt
„Die Seele nach außen“ im Käthe Kollwitz Museum – Kunst 01/17
Bildhauer und Detektive
Die Plastiken von Käthe Kollwitz im Museum am Neumarkt – kunst & gut 05/16
Berührungsängste verboten
„Memory is not only past“ in der ADKDW – Kunst 04/24
Zauber der Großstadt
Nevin Aladağ im Max Ernst Museum Brühl des LVR – kunst & gut 04/24
Das Verbot, sich zu regen
„Es ist untersagt ...“ von Frank Überall im Gulliver – Kunstwandel 04/24
Makroproteste in der Mikrowelt
Agii Gosse in der Galerie Landmann-31 – Kunstwandel 03/24
Ein König schenkt
Schenkungen von Kasper König an das Museum Ludwig – kunst & gut 03/24
Aufscheinende Traditionen
Helena Parada Kim im Museum für Ostasiatische Kunst – kunst & gut 02/24
Expansion in die Löwengasse
Kunstraum Grevy eröffnet Pop-Up-Store „Grevy Satellite“ – Kunst 02/24
Faszination für krumme Linien
Julja Schneider im Maternushaus – Kunstwandel 02/24
Ohne Filter
„Draussensicht“ in der Oase – Kunstwandel 01/24
Malen mit der Farbe
Rolf Rose im Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 01/24
Augenöffner im Autohaus
„The Mystery of Banksy“ in Köln – Kunstwandel 12/23
Gespür für Orte
Füsun Onur mit einer Retrospektive im Museum Ludwig – kunst & gut 12/23
Ereignisreiche Orte
Simone Nieweg in der Photographischen Sammlung der SK Stiftung im Mediapark – kunst & gut 11/23