Ohne Klischees wäre die (Theater-)Welt nicht wiederzuerkennen: Baskenmütze, schwarze kurze Hosen, Kniestrümpfe, Capes – so sehen französische Schüler aus. Ironie? Zehn junge Laien-Darsteller liefern sich in der Eingangsszene zu Jean Cocteaus „Kinder der Nacht“ (Les enfants terribles) am Schauspiel Köln pantomimisch Schneeballschlachten und Raufereien. Später werden sie dann zu Bühnenarbeitern degradiert. So ergeht es ‚schrecklichen‘ Kindern, wenn sie ins Theater geraten.
Melanie Kretschmann inszeniert unter dramaturgischer Mithilfe von Helene Hegemann Cocteaus innerhalb von drei Wochen niedergeschriebenen Roman. Ein episches Nocturne über die zwischen Weltflucht, Tagtraum, Dämonie und Todessehnsucht changierende inzestuöse Amour fou von Paul und Elisabeth. Ein bisschen Wälsungenblut, ein bisschen Baudelairescher Weltekel und viel künstlerisches Chiaroscuro. Nach dem Baskenmützen-Intro markieren zwei Wände samt Betten das Zuhause von Paul (Jakob d‘Aprile) und Elisabeth (Lou Zöllikau). Während die kranke Mutter (Birgit Walter) die Wände hochklettert, streitet sich die Kinderbrut um Spülplan, Ordnung und Sauberkeit. Cocteaus verwunschener Raum der Fantasie verkümmert hier zur WG mit Haushalts-Problemen. Die zwischen Hass, Erotik, Eifersucht und Traum changierende Geschwisterbeziehung kommt über einen launigen Bruder-Schwester-Zwist kaum hinaus.
Mit Gérard (hervorragend: Loris Kubeng), der allmählich zum Erzähler wird, und Agathe (laienhaft: Martha von Mechow) weitet sich das Duo infernal zum monströsen Quartett. Am Ende hängen Brüderlein und Schwesterlein tot überm Tisch. Auf der Strecke geblieben ist dabei aber vor allem: Jean Cocteaus Roman „Kinder der Nacht“.
„Kinder der Nacht“ | R: Melanie Kretschmann | 8., 9., 30.3. 20 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 221 284 00
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