Was andere über mich sagen. Was ich mal werden will. Wünsche für die Zukunft. Über solche Dinge gibt man in der Schulzeit kurze Statements ab, früher in Freundschaftsbüchern, heute in Sozialen Netzwerken. Sternzeichen, Lieblingsfarbe, Lieblingsflüche – mit einem steckbriefartigen Warm-up stellen sich auch die drei Performer von Futur3 vor.
Da die Infantilität der Übung mit den Jahrgängen der Männer (1974, 1966, 1961) kollidiert, ist das Eis schnell gebrochen. Ein effektiver Einstieg, auch im Hinblick auf das anvisierte Publikum ab 14 Jahren. „Ein Jugendstück für Erwachsene“ nennt das Ensemble die Uraufführung „Von Genen und anderen Zufällen“ – und tatsächlich ergeben sich Anknüpfungspunkte an die eigene Vita für eine Zuschauerschnittmenge zwischen Adoleszenz und Midlife Crisis.
Dass Bauarbeiten an der Identität über viele Dekaden eine Rolle spielen, ist der größte gemeinsame Nenner der Erinnerungscollage. Exemplarisch betrachten André Erlen, Stefan H. Kraft und Klaus Maria Zehe (an dessen Stelle an manchen Abenden Patrick Joseph performt) ihre eigenen Biografien, um dem Verbleib von jugendlichen Träumen und Befindlichkeiten im Dasein als Erwachsene nachzuspüren. Im Plauderton und mit Pappschildern analysieren die Futur3-Gründer das Umfeld, in dem sie jeweils aufwuchsen, sammeln anekdotisch wichtige Stationen in der Persönlichkeitsentwicklung und landen mit Fragezeichen, aber auch mit ein bisschen Weisheit des fortgeschrittenen Alters („Durchhalten! Keine Angst! Dranbleiben! Weitermachen!“) im Hier und Jetzt.
Der persönliche Ansatz bringt mal zum Lachen, mal zum Nachdenken, während andere Passagen weniger fesseln. In anderthalb Stunden birgt das lebensnahe, dadurch aber auch formlose Konzept die eine oder andere Länge, aber auch schöne Glanzlichter. Aufkommende Küchenpsychologie wird nicht immer ironisch abgefedert. Aus drei verbundenen Bühnenplattformen entstehen durch Bilder und andere Requisiten sukzessiv individuelle Räume; drei etwas beliebig wirkende Videomontagen setzen Zäsuren und lassen Platz für eigene Assoziationen. Diese anzustoßen, gelingt der theatralen Variante einer Facebook-Chronik auf nicht unbedingt tiefschürfende, aber sympathische Weise.
„Von Genen und anderen Zufällen“ von Futur3 | R: André Erlen, Stefan H. Kraft | Comedia Theater Köln | weitere Termine voraussichtlich im Herbst | www.comedia-koeln.de
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