Das Bild Japans lädt lächelnd zum Irrtum ein. Denn genauso wenig wie nachts in Kölner Stuben Trolle arbeitswütig herumwuseln, alle Rheinländer Frohnaturen oder in bajuwarischen Gefilden die einheimischen Seelen in Weißwurstdarm gewickelt sind, kann das pauschale Bildnis sanft-anmutiger Geishas in kirschblütenfarbenen Kimonos und einer in die Antlitze der Alten gemeißelten Lebensweisheit der Realität nahe kommen. Kurzum: Japan ist für den Westen ein Klischee – wenn auch ein überwiegend positiv besetztes –, aus dem sich gleich dem Handel mit hiesigen Dom-Artefakten Geld umsetzen lässt. Dieses Prinzip erkannte auch der italienisch-britische Fotograf Felice Beato (1832-1909), der in den 1860er Jahren gen Osten reiste und dort ansässig wurde. Bis 1884 betrieb Beato in Yokohama ein Fotoatelier. Mit dem Verkauf von nostalgisch anmutenden Bildnissen ästhetischer Landschaften sowie traditioneller Berufsschichten zog der Geschäftsmann erfolgreich ausländische Besucher in seine Stätte. Handelsleute, Diplomaten, Vertreter des Militärs und Reisende bestellten bei Beato gerne Erinnerungsstücke. Mittels Einzelaufnahmen oder persönlich zusammengestellten Lack-Alben inklusive erläuternden Texten machte sich der Immigrant über die Hafenstadt hinaus einen Namen. Demnach beschäftigte der Unternehmer 1872 zwei Assistenten, vier Fotografen und vier Koloristen.
Das Museum Ludwig zeigt seit Februar eine Werkschau, bestehend aus Beatos kolorierten Bildern und Holzschnitten japanischer Künstler, deren Entstehung von Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts reichen. Viele der Objekte stammen aus der Sammlung des Foto-Journalisten Robert Lebeck, dessen Bilder-Konvolut 1993 an das Kölner Haus übergeben wurde. Zu sehen sind unter anderem Sänftenträger, eine Musikerin, Kurtisanen, Tänzerinnen sowie Landschaftsaufnahmen, etwa der Vulkan Fuji. Die dargestellten Personen engagierte Felice Beato und stattete sie in seinem Studio mit Requisiten aus. Allen Holzschnitten liegt dabei das humoresk wirkende Motiv einer Foto-Anfertigung zugrunde, die bei längerer Betrachtung ins Bizarre kippt.
Neben den mehr als 30 Exponaten sorgt eine Akustik-Station für hörbare Eindrücke der Werke: Auf mehreren Sitzplätzen vis-a-vis einer Fotogalerie lauschen die Besucher den vor Beginn der Ausstellung aufgezeichneten Kommentaren japanischer Bürger. Das als „Voiceover“ konzipierte Überlagern der Bilder durch individuelle Spekulationen, Hinterfragungen und Belustigungen stellt eine Bereicherung der Werkschau dar, fügt sie den überwiegend stillen, idyllischen Portraits doch eine zeitgenössische Dynamik hinzu, der von staunenden Betrachtungen über die Frisuren, die Haute Couture bis hin zum unglamourösen Auftreten der Prostituierten gereicht. Dass sich die Menschen seinerzeit überhaupt ablichten ließen, überrascht einen der Kommentatoren, denn in der japanischen Kultur war der Glaube verbreitet, dass die Fotografie einer Person deren Seele raube. Jene Angst vor einem essentiellen Verlust bleibt für den Betrachter im Fotoraum der Stätte jedoch auch nach dem zweiten Blick gen Osten verborgen.
Voiceover – Felice Beato in Japan | bis 16.6. | Museum Ludwig, Fotoraum | www.museum-ludwig.de
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