Die Übersetzung fremdsprachiger Filmtitel ins Deutsche ist ein Thema, das uns seit Anbeginn des Kinos bestenfalls in ausgelassene Heiterkeit, für gewöhnlich aber in den Wahnsinn treibt. Aus aktuellem Anlass sei an dieser Stelle ein Update geliefert. Erst letzten Monat schließlich feierte Kollege Christian Meyer das Drama „20th Century Women“ als choice of choices und erklärte den deutschen Titel „Jahrhundertrauen“ als, „wie so oft“, irreführend. Da stellt sich die Frage: Nach welchen Kriterien wird hierzulande eigentlich übersetzt? Schaut man sich die Titel-Landschaft an, wird zumindest deutlich: Klare Kriterien gibt es nicht. Das ist zum einen gut so – niemand will eine genormte Übersetzungsmaschine, die gewitzte, originelle Variablen von vorneherein ausschließt. Nur sollte man dabei das Thema nicht verfehlen. So überzeugen Übersetzer mal mit Witz, viel zu oft aber mit blinder Nachlässigkeit oder selbstverliebtem Stilwillen. Ein ähnliches Phänomen ist ja im Journalismus zu beobachten, wo Korrespondenten heute eher nach flotten Metaphern und coolen Anaphern recherchieren als in der Sache.
So oder so, es ist kompliziert. Zumindest, sobald es über knackige Originaltitel wie „Life“, „Silence“, „Lion“ oder „Fences“ hinausgeht, die dem Publikum hierzulande noch unverfälscht zugemutet werden. Alles, was komplizierter ist, gestaltet sich abenteuerlich. Gut, der jüngeren Zielgruppe wird tendenziell eine höhere Affinität zur englischen Sprache zugetraut: „King Arthur: Legend of the Sword“ – da wird schlichtweg nicht mehr eingedeutscht. Andererseits, gelegentlich bedarf es scheinbar doch einer Erklärung: „The Call – Leg nicht auf!“ Danke für den Hinweis. Diese Variante ist auch im Arthouse-Kino besonders beliebt: „The Birth of a Nation – Aufstand zur Freiheit“, „Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen“. Tja, so ein Kinoplakat soll ja mit irgendetwas gefüllt werden. Dieses Ansinnen treibt man aktuell übrigens bei „Before I Fall“ auf die Spitze, der da bei uns heißt: „Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie“. Puh, was war da denn bitte los? Durchschaubarer wird die Sache beim französischen Film. Der lockt scheinbar besonders viele deutsche Zuschauer an, wenn im Titel eine Madame oder ein Monsieur auftaucht. Spätestens seit den 2010er Jahren überrennen uns Madames Mallorys, Christines, Marguerites und Annes zuhauf, und die Monsieurs Claudes, Chocolats und Pierres gesellen sich munter dazu, ohne dass im Original derlei Geschlechterkategorisierung bemüht worden wäre.
Unterm Strich: Willkür an der Titelfront! Nun, vielleicht hilft der selbstreferentielle Blick: Warum heißt unser Print- und Onlinemagazin eigentlich choices und nicht etwa „Auswahlmöglichkeiten“? Und unser Film des Monats choices of choices statt „Die Wahl der Auswahl“? Ganz einfach: Damit es nicht bescheuert klingt! Ja, können wir genau das bitte als Top-Kriterium für deutsche Filmtitel festlegen? Und vielleicht noch, dass es unnötig ist, Inhalte schon auf dem Plakat zu erklären. Das übernimmt ja dann für gewöhnlich der Film.
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