Eine lange Menschenschlange wartet eng gedrängt vor dem Eingang des Theater im Bauturm, das Interesse an der Lebensgeschichte von Theodor Michael ist groß. Im Theatersaal, der komplett ausverkauft ist, sitzen schließlich 140 Besucher, dicht an dicht gedrängt.
Theodor Wonja Michael sitzt in der ersten Reihe. Mit seiner dunklen Cordjacke und seinem pinkfarbenen Hemd macht er gar nicht den Eindruck, als würde er nächstes Jahr schon 90 werden. Wer wegen seiner Biographie „Deutsch sein und schwarz dazu“ gekommen ist, muss sich aber gedulden. Zuerst wird der Dokumentarfilm „Pagen in der Traumfabrik“ gezeigt, weil die Lesung im Rahmen des Afrika Film Festivals „Jenseits von Europa XIII“ stattfindet. Die Dokumentation beschäftigt sich damit, wie Schwarze im Dritten Reich für Propagandafilme ausgenutzt wurden. Einer der Protagonisten ist auch Theodor Wonja Michael.
Nach einer kleinen Umbaupause im Anschluss an die Filmvorstellung beginnt Theodor Wonja Michael mit der Lesung und sein Stiefsohn unterstützt ihn dabei. Michael liest zuerst aus dem Kapitel „Schutzgebiete“. Darin beschreibt er, wie sein Vater Theophilius Wonja Michael während der Kolonialzeit in Kamerun lebt und am Anfang des letztens Jahrhunderts nach Berlin kommt. Dort heiratet er eine Deutsche, neben Theodor Wonja bekommen sie drei weitere Kinder. Das Leben von Familie Michael ist zunächst relativ normal, aber alles verändert sich mit der Weimarer Republik. Durch den Verlust des Erstens Weltkriegs wird die Stimmung ihnen gegenüber feindseliger und rassistischer. Vater Theophilius bekommt keine Arbeit mehr, er und seine Kinder müssen in erniedrigenden Völkerschauen auftreten, um Geld zu verdienen.
Das Kapitel ist kurzweilig und schnell vorgetragen. Danach erzählt der Stiefsohn, dessen Name nicht genannt wird, wie es nach den Völkerschauen für die Familie Michael weitergegangen ist. Nach Inkrafttreten der Nürnberger „Rassengesetze“ gelten die Michaels als „artfremd“ und Theodor Wonja muss das Gymnasium verlassen. Er bekommt keine Arbeit und spielt als Statist in nationalsozialistischen Propagandafilmen mit, um sich über Wasser zu halten. Während des Zweiten Weltkriegs bleibt ihm der Einsatz an der Front erspart, aber nicht das Zwangsarbeitslager, in dem er bis zum Kriegsende arbeiten muss. Danach geht sein Leben bewegt weiter. Er wird Politikwissenschaftler, Journalist und erster schwarzer Bundesbeamter im öffentlichen Dienst, erklärt sein Stiefsohn.
Theodor Wonaja Michael übernimmt wieder und liest aus dem Kapitel „Eine neue afrodeutsche Community“. Es bezieht sich auf das Jahr 1985, Michael steht inzwischen kurz vor der Rente und macht viele positive Bekanntschaften mit starken Afrodeutschen, die sich sichtbar machen und gegen Rassismus in Deutschland eintreten. Am meisten beeindruckt ihn die Gruppe „Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland“. 1987 geht er in Rente und findet noch mehr Anschluss an der afrodeutschen Bewegung.
Die Lesung wird mit langem Applaus beendet. In einer anschließenden Fragerunde möchte eine Frau wissen, wie Theodor Wonja Michael die heutige deutsche Gesellschaft sieht? Wäre sie anders strukturiert als früher? Er antwortet: „Es hat große Fortschritte gegeben. Es gibt keine Nürnberger Gesetze mehr, aber die Bevölkerung definiert sich immer noch als weiß und blauäugig. Aber für mich ist Deutsch-Sein eine Einstellung!“
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