Es ist wieder soweit, das Häschen hoppelt durch die Felder. In Bonn ist der Hase das Wappentier des Festivals Into the Fields, mit dem die Brotfabrik und das Theater im Ballsaal die lokale Tanzszene belüften. Rafaële Giovanola von CocoonDance hat das Programm zusammengestellt. In diesem Jahr mit Produktionen, die sich temperamentvoll den Raum erobern. So entstand etwa die Choreografie „Effect“ von tanzmainz im Dialog mit der bildenden Kunst, indem eine Ausstellungsfläche zum Aktionsort wurde. Wie beim Action-Painting entsteht eine hypnotische Wirkung durch Bewegung, die hier einen zusätzlichen Sog durch fulminante Kreisbewegungen erhält. Tanzmainz gehört zu den innovativsten städtischen Ensembles der Republik, möglicherweise auch deshalb, weil man für die Kooperation mit freien Gruppen alle Türen offen hält. Einen schönen Kontrast zu der wilden Ensemble-Choreografie der Rheinhessen bildet das „Sofa Project“ der Litauerin Marija Baranauskaite. Sie untersucht unser Verhältnis zu jenem Möbel, auf dem wir abhängen und alle Alltagsdisziplin zum Teufel geht. Das Sofa als Erkenntnisinstrument wird für die Baltin zum humorvollen Spiegel des Seins in der Wohlstandsgesellschaft.
Into the Fields kennt keine Einführungsvorträge und keine Nachsorgegespräche. Das Publikum wird in den Produktionen selbst zum Akteur, deshalb muss niemand danach gefragt werden, wie es war. Die Nähe zwischen Künstlern und Besuchern wirkt nicht einschüchternd, sondern inspirierend. Bestes Beispiel ist das „Mysterium Cosmographicum“ des ungarischen Choreografen András Déri, der sich gemeinsam mit zwei Musikern auf die Suche nach den Harmonien der fünf Elemente macht. Das Publikum lädt er ein, Hilfestellung zu leisten, so dass sich auf der Bühne bald nicht mehr unterscheiden lässt, wer zuschaut und wer agiert.
Auflösung von Körpergrenzen verspricht hingegen die neue Arbeit von CocoonDance. „Hot Shots“ begibt sich in das Zwischenreich von Mensch und Maschine, in dem uns der Gegenstand vertraut und der Körper fremd wird. Was ist lebendig und was ist tot? Diese Frage erörtert man über Studien mit Puppen und dem menschlichen Gesicht, in dem sich die Emotionen unserer Innenwelt spiegeln. Man darf gespannt sein, wie die Bonner ihre Körpererkundungen, die sie seit Jahren auf höchstem Niveau betreiben, in eine neue Dimension bringen werden.
Als Gäste begrüßt das Festival Barbara Fuchs mit ihrer Produktion „Mischpoke“, die gleich ganze Familien ins Rampenlicht stellt. Kinder und Erwachsene entwickeln hier eine ebenso humorvolle wie dicht gespielte und getanzte Szenerie, in der sich die Unterschiede der Gesten von kleinen und großen Körpern schön beobachten lassen. Jörg Ritzenhoff stiftet mit seiner Musik die Verbindung zwischen Körper und Bewegung. Von seinen Sound-Konzepten ist auch Özlem Alkis beeinflusst, die in ihrem Projekt „Soundtracking the stage“ die Welt der Objektgeräusche erkundet. Wie fühlt es sich an, wenn wir selbst zum Objekt werden? Die Österreicherin Helene Weinzierl erforscht in „As far as we are“ die Belastungsgrenzen der menschlichen Konstitution. Ihre Performance kündigt sie als Labortest an. Man darf gespannt sein, wie mutig Künstler und Publikum dabei zusammenarbeiten werden.
Tanzfestival Into the Fields | 24.4. - 9.5. | Brotfabrik und Theater im Ballsaal, Bonn | www.into-the-fields.de
Das Festival wurde aufgrund der Bestimmungen zur Eindämmung der Corona-Krise abgesagt. Die nächste Ausgabe wird aktuell für Jan. / Febr. 2021 geplant.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Lieber heute statt morgen
Performance-Festival tanz.tausch findet digital statt – Festival 01/21
Begegnung mit dem Anderen
Das El Cuco Projekt zeigt das lauernde Tier in uns – Tanz in NRW 12/20
„Ich steh nicht auf Stillstand“
Choreografin SE Struck von SEE! über die Arbeit während Corona – Interview 12/20
Tanz in zehn Dimensionen
Live-Übertragung des Ballet of Difference am Schauspiel Köln – Tanz 12/20
„Nicht aufhören, großes Theater zu machen“
Choreografin Stephanie Thiersch über Tanz während Corona – Interview 10/20
Akrobatik im Alltag
Start von Urbäng rund ums Orangerie Theater – Festival 10/20
Was hält uns zusammen?
Das Festival Urbäng! betrachtet Familie, Männlichkeit und Kapitalismus – Tanz am Rhein 10/20
Die vitale Versehrte
„Fractura“ erzählt von den Brüchen im Leben einer Tänzerin – Tanz am Rhein 08/20
„Als echter Künstler sollte man weinen können“
Aalto-Ballettintendant Ben Van Cauwenbergh über die „Drei Schwestern“ – Tanz an der Ruhr 04/20
Postkoloniale Geister
„Ist das ein Mensch?“ von kainkollektiv im Ringlokschuppen Ruhr – Tanz an der Ruhr 03/20
Die Schule tanzend aus den Angeln heben
Silke Z produziert neue Choreografie in deutschen Schulen – Tanz am Rhein 03/20
Amerikanerin am Rhein
Emily Welther meistert auch schwierige Themen des Tanzes – Tanz am Rhein 02/20
Therapie des Hörsinns
„The Listeners“ von Alma Söderberg/Cullberg im Pact Zollverein – Tanz an der Ruhr 02/20
Dem Unberechenbaren die Türe öffnen
Barbara Fuchs‘ erfrischender Umgang mit dem Familiengebilde – Tanz am Rhein 01/20
Luftig ins Jubiläumsjahr
„L’après-midi d’un foehn“ auf Zollverein – Tanz an der Ruhr 01/20
Gott tanzt
Das Festival tanz.tausch in Köln – Tanz am Rhein 12/19
Das erregende Moment der Bewegung
Festival Tanzrauschen in Wuppertal – Tanz in NRW 11/19
Nicht reden, sondern machen!
Festival „Urbäng!“ bietet starkes Programm – Tanz am Rhein 10/19
Verausgabung als Ereignis
Die Ruhrtriennale geht beim Tanz bis zum Äußersten – Tanz in NRW 09/19
Kalte Leidenschaft in der Oper Köln
Sasha Waltz blickt illusionslos auf die Menschheit - Tanz am Rhein 08/19
Bitter und schön zugleich
Die Batsheva Dance Company aus Tel Aviv zu Gast in Köln – Tanz am Rhein 07/19
Ein zweiter Körper
„Uncanny Valley“ von Stefan Kaegi und Thomas Melle – Tanz an der Ruhr 07/19
Auge und Ohr profitieren
Philip Mancarella schreibt die etwas andere Musik für den Tanz – Tanz am Rhein 06/19
Beats und Rhymes
Das vierte International Summer Battle – Tanz an der Ruhr 06/19