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Superwoman und die weißen Männer

22. Februar 2018

Computerspiele hinterfragen zunehmend Geschlechterklischees

Früher fand ich es unerotisch, wenn Ex-Freunde, die sonst klar denken konnten, plötzlich zu spielbesessenen Shootern mutierten. Ad hoc wurde das Zimmer abgedunkelt, denn draußen schien ja leider die Sonne, während sie im dunklen Kämmerlein stundenlang im Jogger zockten. Der Geräuschpegel war kaum zu ertragen. Vielleicht war das der Trennungsgrund. Aber damals waren Games noch eine reine Männerdomäne und klarer Mainstream. Ich wollte jedenfalls nicht schießen, aber ich bin schließlich auch eine Frau.

Heute klingt das oberflächlich und sexistisch. Längst mischen Frauen mit: Als Protagonistinnen auf dem Bildschirm und davor – immerhin ist inzwischen die Hälfte des zockenden Publikums weiblichen Geschlechts. Nach der Geburt des ersten weiblichen Avatar-Dependants zu einem männlichen namens „Ms. Pac-Man“ im Jahr 1982, folgte Mitte der 90er Heroine Lara Croft aus dem Action-Game „Tomb Raider“: Trat in vielen anderen Spielen die Frau als hilfloses Opfer auf, angewiesen auf einen männlichen, überlegenen Retter, verhielt sich die Premieren-Croft immerhin wie eine emanzipierte Heldin, die ihren maskulinen Counterparts in Nichts nachstand. Äußerlich war sie jedoch mit extrem dürren Beinchen, überdimensional üppigem Busen und viel nackter Haut ausgestattet. Ähnlich sexualisierte Heldinnen finden sich etwa in „NieR:Automata“ oder „Bayonetta“. Allesamt in Perfektion verkitschte Körper, die trotz Widrigkeiten sich topfit und schweißlos durch das Universum aalen, während ihre Frisur sitzt. Ist das ein Fortschritt in puncto Gleichberechtigung oder aufgrund der übersteigerten Perfektion und des irritierenden Busenwunders nicht ebenfalls sexistisch? Sollen Frauen überhaupt genau das können müssen, was ihre ach so heroischen männlichen Vorgänger ihnen vorgelebt haben? Oder ist das nicht wieder ein Affront, als hier ein von Männern angepeiltes Ideal angestrebt wird, das die Frau zu einer Kopie ihres Vorreiters degradiert? Aber müsste man dann nicht gerechterweise ebenfalls kritisch hinterleuchten, ob Männer überhaupt den Wunsch hegen, stets den muskulösen Superhelden spielen zu wollen? Wo fängt Sexismus eigentlich an? Wollte Tarzan Jane tatsächlich retten? 2013 transformierte Lara Croft schließlich äußerlich von ihrer Next-Top-Model-Vorgängerin hin zu einer durchschnittlich proportionierten, die auch ohne exorbitante Brüste überlebte.

Passend zu dieser grotesken Perfektionsdebatte entwarf die Spieledesignerin Lea Schönfelder ein Spiel, das sich von jenen Klischees distanziert. Das Spiel mit dem antithetischen Titel „Perfect Woman“ setzt sich mit Augenzwinkern mit Frauenrollen auseinander, indem es weibliche Stereotypen dekonstruiert. „Mich hat es gestört, dass Frauen immer wie Superwoman dargestellt werden“, so die 32-jährige Game-Designerin. Deshalb kreierte sie ein trotziges Anti-Spiel, in dem GamerInnen erfrischend imperfekte Dinge – wie Älterwerden, Schwierigkeiten im Job oder den schweren Verlust eines Kindes durchspielen. Eine Persiflage auf die Klumschen Heidis dieser Welt. „Kann Frau wirklich alles haben? Karriere, Kinder, eine Heirat, ein Top-Aussehen plus noch ein eigenes Haus? Dieser Zwiespalt war meine persönliche Motivation“, so die Entwicklerin, die für ihr Independent-Spiel viel Anerkennung, jedoch auch ein wenig Kritik aus feministischen Kreisen erntete. Einige empfanden die dargestellten Frauen als Verliererinnen. Gegenfrage: Ist es nicht sogar eine kulturelle Pflicht, gesellschaftliche Entwicklungen kritisch zu reflektieren, negative inklusive?

Schönfelder gehört damit in der deutschen Gamer-Szene zu den inzwischen rund 20 Prozent weiblichen Produzenten, die auch alternative Spiele entwickeln. Im Gegensatz zum ausgewogenen Verhältnis bei den KonsumentInnen ist die Gleichberechtigung bei EntwicklerInnen noch nicht erreicht. „Es hat sich schon eine Menge auf diesem Gebiet getan“, so Schönfelder. „Vieles ist frauenfreundlicher und toleranter gegenüber Geschlechtsdiversität geworden, aber auch ich treffe noch immer in der Branche auf Strukturen, die von weißen Männern dominiert werden.“

Fazit: Ich zocke weiterhin nicht, aber nicht, weil ich eine Frau bin, oder weil alle Spiele von Männern dominierte, dumme Shooter-Spiele sind. Das hat sich geändert – nicht zuletzt Frau sei Dank. Es gibt sie aber, Spielerinnen und von Frauen produzierte Games jenseits des Mainstreams. Hier ist viel Spannendes wie Nachdenkliches zu erwarten.


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Rebecca Ramlow

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