Woran verzweifelt dieser Dr. Faust eigentlich: An der Wissenschaft? Nein. Als Mann am Klavier ist er wohl eher Künstler. An seinem nicht zu befriedigenden Wissensdrang? Hat er nicht. An seiner eigenen Skepsis? Er interessiert sich für nichts. Philipp Pleßmann gibt den Hipster im Anzug, der zwar die Antikenbüste auf dem Flügel stehen hat, aber anfangs nur „Bla-Bla“ von sich gibt. Dieser Faust ist eine Leerstelle, mit näselndem Diskant, unauratisch, desinteressiert – das Opfer einer Wette zwischen der dunkelhäutigen Gott-Puppe und Teufel Mephisto. Irgendwie reingeraten. Damit ist das Drama eigentlich beendet, doch Regisseur Moritz Sostmann zerrt uns nun dreieinhalb Stunden durch Goethes Opus magnum. Immerhin gibt Yvonne Jansen einen glamourösen Mephisto mit schwarzen Engelsfügeln und Paillettenanzug, der den schlappen Titelhelden mühsam auf Trab bringt. Vielleicht lässt sich das Böse ja durch Lethargie aussitzen? Auch nicht.
Der Osterspaziergang wird in das Bild einer nautischen Daseinsmetapher gepresst. Die Gesellschaft hockt in einem Boot: Ist das nun angeblich schon voll? Ist die Gesellschaft selbst auf der Flucht? Oder kommt sie gerade an? Unklar, wie so vieles an diesem Abend. Und auch zwischen Gretchen und Faust funkt es nicht. Katharina Schmalenberg im roten Daunenanorak („Romance is dead“) gibt sie burschikos bis ruppig und vor allem genervt von dem alten Sack. Während er an seinem Flügel hockt, drischt sie auf ihr Klavier ein oder zieht sich in einen Ohrensessel zurück. Klangerotik und Revierabgrenzung. Ok, Schmuck muss sein: Diamonds are a girls best friend – aber den Sex müssen dann schon die Puppen vollziehen, da halten sich Schauspieler raus. Das „Lacrimosa“ aus Mozarts „Requiem“ weint dann weniger über den Missbrauch einer Minderjährigen als über der Menschheit ganzen Jammer. Warum Gretchen schließlich wahnsinnig wird, bleibt genauso unerfindlich wie die missglückte Racheaktion ihres Bundeswehrbruders Valentin. Ein Abend, der keine Lust auf mehr macht: Doch „Faust II“ wartet schon.
„Faust I“ | R: Moritz Sostmann | 3., 18.3. je 19.30 Uhr, 5.3. 18 Uhr, 15., 28. u. 29.3. je 19 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 221 84 00
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