„Ich bin nicht gemacht für …“, sagt Richard und man kann alles einsetzen, was derzeit von Diversität bis Nachhaltigkeit marktgängig ist. Zugleich bezeichnet er/sie sich als „Torpedo“: In Pinar Karabuluts Inszenierung ist Richard eine diskursgestählte Frau, die das Verhältnis von Frau und Körper im Verhältnis zu männlich konnotierter Macht immer wieder thematisiert.
Die Regie hat sich Shakespeares Königsdrama von der Autorin Katja Brunner übermalen lassen: Plot und Figuren bleiben weitgehend erhalten, die Dialoge werden radikal erweitert mit feministischen und soziologischen Exkursen. Es wird gekalauert, das Publikum angepflaumt, Pollesch und Jelinek stehen Schmiere. Yvon Jansen als Richard gibt eine souveräne Manipulatorin, die im Turbosprech alle Register zieht, jeden Widerspruch bereits eingepreist hat und ein Blutbad auf den Weg zum Thron anrichtet. Regisseurin Karabulut und ihr Ausstattungsteam haben dafür einen Rahmen gezimmert, der mit den grellbunten Kostümen, der bemalten Burgzinnen-Deko, dem James-Bond-Filmvorspann auf die Pop- und Theaterkultur der 1960er verweist. Weitergeschrieben wird damit auch Susans Sontags legendäres „Camp“-Plädoyer, das das subversive Potential der schwulen Ästhetik feierte – und hier für eine genderfluide Deutung von Shakespeares Mörderstory in Anschlag gebracht wird. Vor allem vor der Pause gelingen eindrückliche Szenen wie beim Mord an Hastings oder Lady Anns Zahlenspiele mit Toten und Atemzügen. Nach der Pause zerfleddert die Inszenierung zusehends und verliert sich eher in einem effektsatten Spielreigen.
Richard drei | R: Pinar Karabulut | 1., 19., 23.6. | Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00
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