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„Wie es euch gefällt“
Foto:David Baltzer

Popkultureller Autoritarismus

28. Mai 2015

Roger Vontobel inszeniert Shakespeares „Wie es euch gefällt“ am Schauspiel Köln – Auftritt 06/15

Geschlecht gilt zu einem erheblichen Teil als sozial konnotiert. Doch während in der Gesellschaft darüber Aushandlungsprozesse zu führen sind, lässt sich das Theater davon nicht sonderlich beeindrucken. Die performative Setzung, mit der Niklas Kohrt die Rosalinde in Shakespeares „Wie es euch gefällt“ spielt, lässt keinen Widerspruch zu. Schon am Hof ihres brutalen Onkels Frederick turtelt sie/er im rosa Pullover herzallerliebst mit dessen Tochter, ihrer Busenfreundin Celia (Melanie Kretschmann). Sie schäkern, umarmen sich, turteln und gackern. Dann tritt auch noch Orlando in Gestalt von Katharina Schmalenberg, als schmalbrüstiger effeminierter Beau dazu, der kurzerhand den brutalen Ringer Charles auf die Matte schickt und sich in Rosalinde verguckt – es wird gecrossgendered, was die Geschlechtergrenzen hergeben. Auf der Flucht aus Fredericks Reich zieht Rosalinde dann alle Register und verkleidet sich als Kerl, indem sie bzw. Niklas Kohrt einfach seine Männerbrust entblößt. Selbst nackte körperliche Tatsachen geben keinen Aufschluss, wo die Linien zwischen den Geschlechtern verlaufen. Performance ist alles, auch wenn oder gerade weil niemand ist, was er scheint. Der Haken dieser Interpretation am Schauspiel Köln ist allerdings, dass man abgesehen vom ersten Akt selten ein derart unerotisches und spannungsloses Spiel mit den Geschlechtern gesehen hat.

Seien wir ehrlich: „Wie es euch gefällt“ ist nicht gerade der Ausreißer in Shakespeares Ouevre. Schon die Schilderung der Hofes um den brutalen Herzog Frederick, der seinen Bruder verbannt hat, ist kaum mehr als dramatischer Holzschnitt; die Verbannung seiner Nichte Rosalind, der sich Töchterchen Celia anschließt, liefert allenfalls den Anlass, das Geschehen in den Ardenner Wald zu verlagern – wo dann das erotische Vexierspiel dominiert. Bezwingend ist das alles nicht, so brillant die Dialoge sein mögen. Vontobel und Dramaturg Thomas Laue, zukünftiger Chefdramaturg am Schauspiel Köln, setzen auf die Janusköpfigkeit jeder Form kultureller Produktion. Und das beginnt schon beim Herrschaftsbild. Bei Hofe regiert eine Mischung aus popkulturellem Autoritarismus. Robert Dölle im Dreiteiler agiert als herrlich trashig-brutaler Brüllaffe, der seine Untergebenen beim Catwalk paradieren lässt. Stefko Hanushevsky schurigelt als hassgetriebener Oliver de Boys seinen Bruder Orlando. Dazwischen zerrt und kläfft der Ringer Charles (Johannes Benecke) an der Leine wie ein tollwütiger Dobermann. Seine Hundehütte befindet sich direkt unter einem kleinen Thronareal, das mit Devotionalien wie Geweihen, Pflanzen, Behältnissen bestückt ist.

Mit dem Wechsel in den Ardenner Wald hebt sich das mit Torsi, Trash-Diven, einem Haifischmaul, Botticelli-Zitaten bemalte Bodentuch. Durch eine in der Mitte klaffende Öffnung, die an das Maul im Park von Bomarzo erinnert, tändelt die Truppe des Hofakts als ihre bekifften, weichgespülten Hippie-Wiedergänger in Unterhosen herein. Dölle gibt nun Fredericks vom Thron vertriebenen Bruder als mildtätigen Anführer, Benecke den spleenigen Philosophen Jacques und Hanushevsky den Barden Amiens. Das Trio gruppiert sich in Unterhosen zur laokoonesken Baumgruppe, gibt mal ein Reh mit Geweih, labt sich an Äpfeln – eine Art nachhaltige Ökoherrschaft als Gegenentwurf zum militärischen Hofstaat. Lichtblick immerhin der Narr Touchstone des Benjamin Höppner, der mit seinem bulligen Charme und seinem verbalen Florett für ein wenig Würze sorgt. Rosalinde hat sich auf der Flucht in Ganymed verwandelt. Als sie auf den verliebten Orlando trifft, der sein Liebesleid beklagt, verwandelt sie sich als Flirt-Sparringspartner nun erneut in eine Frau mit Namen Rosalinde. Trotz dieser weitergedrehten Verkleidungspirouette, bleibt der Dialog ohne erotischen Witz, ohne Lust am Schein. Und so plätschert und tändelt der Abend dahin – bis in diese Idylle der Liebesstreit zwischen Phoebe und Silvius (Lou Zöllikau und Thomas Brandt) platzt, die als „Zuschauer“ die Szene sprengen. Doch auch dieser „Realitätsabgleich“ kann nicht verhehlen, dass dem Abend letztlich ein zündender Interpretationsansatz fehlt.

„Wie es euch gefällt“ | R: Roger Vontobel | 13., 19., 21. (16 Uhr), 25.6. 19.30 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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