In Maybrit Illners TV-Stammtisch gewährte Carsten Linnemann (CDU) im November einen Einblicke in die Bürgergeld-Debatte, die auch dem Herner Sozialforum nicht entgingen. Der Parteivize behauptete in der Sendung, dass Bürgergeld-Bezieher:innen mehr Geld erhielten als Geringverdiener:innen und präsentierte sich als Fürsprecher der Arbeiter:innen. Das Herner „Bündnis für soziale Gerechtigkeit“, wie es sich vollständig nennt, reagierte auf der eigenen Homepage nicht nur mit Berechnungen und Tabellen, die Linnemanns Ausführungen als Fake-Rhetorik entlarvten. Der Zusammenschluss aus Gewerkschafter:innen, Aktivist:innen und linken Parteimitgliedern versteht sich auch grundsätzlich als Sprachrohr gegen politische Anmaßungen, die fälschlich den Eindruck erwecken, es gehe um die Interessen der ärmeren Bevölkerung.
Rhetorik von gestern
„Wichtig ist für uns die Auseinandersetzung mit der herrschenden Sozialpolitik“, sagt Norbert Arndt vom Herner Sozialforum. Der ehemalige verdi-Gewerkschaftssekretär kennt jene politische Rhetorik noch aus dem New-Labour-Intermezzo der rot-grünen Koalition, die 2005 Hartz IV einmführte : „Das fand alles zu einer Zeit statt, in der Reiche immer reicher wurden. Statt diese Spaltung zu thematisieren, wird jedoch immer auf die Unterschicht gezeigt.“ Arndt gehört neben dem früheren SPD-Landtagsabgeordneten Frank Sichau, der Friedensaktivistin Edith Grams, dem Rechtsanwalt Gregor Kleibömer sowie Franz-Josef Strzalka vom Herner Arbeitslosenzentrum zum Sprecherkreis des Bündnisses.
Auf den Konferenztisch im Herner verdi-Büro landen jene Themen, die das Sozialforum auch als Forderungen in die Öffentlichkeit trägt, namentlich die Erhebung einer Vermögenssteuer, einmalige Vermögensabgaben, eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und der Erbschaftssteuer. Mit diesen Maßnahmen könnten auch die Kommunen entlastet werden. Gerade in den Ruhrgebietskommunen lebt jede:r Fünfte in Armut. Eine Folge davon, die das Herner Sozialforum befürchtet: Die Abgehängten wendeten sich von der parlamentarischen Demokratie ab, insofern sie nicht mehr wählen oder ihr Kreuz bei der AfD machen.
Umverteilung nach oben
Die jüngsten Krisen sorgten zudem für eine Verschärfung der Umverteilung von unten nach oben. Um diese Entwicklung zu bremsen, fordert das Sozialforum die Abschöpfung von Übergewinnen. „Das Geld ist da, man muss es nur da abholen, wo es ist“, sagt Gregor Kleibömer. Zugleich fordert das Bündnis einen Ausschluss von Stromsperren. Davon sind diejenigen bedroht, die sich die steigenden Energiekosten nicht leisten können. Erst im Spätsommer kritisierte das Forum das Ampel-Krisenmanagement als „Klassenpolitik von oben“ und rief auf zum „Klassenkampf von unten“. Der oft beschworene „heiße Herbst“ sei zwar bisher ausgeblieben, so Arndt: „Wir erleben nicht, dass die Empörung in Protest umschlägt.“ Doch das Forum bewies bereits während der Gründungszeit im Frühjahr 1993, dass es Protest organisieren kann. Damals rief man noch unter dem Namen „Herner Bündnis gegen Gleichgültigkeit“ zu Demonstrationen und Straßenblockaden auf, um gegen die angekündigte Schließung des Schraubenwerks Knipping-Dorn, ein wichtiger Bergbauzulieferer, zu mobilisieren. Arndt erinnert sich: „Wir brauchten eine Strategie, um den Menschen eine Perspektive zu geben“.
ARMUT LEICHT GEMACHT - Aktiv im Thema
plurale-oekonomik.de | Zusammenschluss von Studenten und jungen Ökonomen, die sich für ein vielfältigere Wirtschaftstheorie einsetzen.
wandelwerk.koeln | Das „Zentrum für den sozial-ökologischen Wandel in Köln“ fördert auch ein neues Verständnis von Unternehmerum und Wertschöpfung.
fairstaerken.de | Der Kölner Verein setzt sich für die Bildung und soziale Teilhabe von Kindern und Jugendlichen ein.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Gerechtes neues Jahr
Intro – Armut leicht gemacht
Angst und Unwissen
Ökonomische Bildung darf nicht mehr Mangelware sein – Teil 1: Leitartikel
„Um den Armen zu geben, braucht man nicht das Geld der Reichen“
Ökonom Maurice Höfgen über Staatsfinanzierung und Wohlstand – Teil 1: Interview
„Eindeutig ein Defizit bei der Demokratiebildung“
GEW-Vorsitzende Maike Finnern über gerechte Schulbildung – Teil 1: Interview
Wirtschaft für alle
Die Gruppe Gemeinwohl-Ökonomie Köln-Bonn – Teil 1: Lokale Initiativen
Nachrichten als Krise
Medienfrust und der Vertrauensverlust des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – Teil 2: Leitartikel
„Berichterstattung beeinflusst politische Entscheidungen“
Journalismusprofessor Kim Otto über den Wandel im Wirtschaftsjournalismus – Teil 2: Interview
Gegen die soziale Kälte
Duisburger Initiative „Unsere Armut kotzt uns an“ – Teil 2: Lokale Initiativen
Klassenkampf von oben
Reiche und ihre politischen Vertreter gönnen den Armen nicht das Schwarze unter den Fingernägeln – Teil 3: Leitartikel
„Die Crux liegt in der Lohnstruktur“
Ökonomin Friederike Spiecker über Ursachen und Bekämpfung von Armut – Teil 3: Interview
Für eine Kindheit ohne Armut
Die Diakonie Wuppertal – Teil 3: Lokale Initiativen
Bis zur nächsten Abstimmung
Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen – Europa-Vorbild Schweiz
Spenden ohne Umweg
Teil 1: Lokale Initiativen – Das Netzwerk 2. Hand Köln organisiert Sachspenden vor Ort
Lebendige Denkmäler
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Route Industriekultur als Brücke zwischen Gestern und Heute
Zivilcourage altert nicht
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Verein zur Erforschung der Sozialen Bewegungen im Wuppertal
Jenseits der Frauenrolle
Teil 1: Lokale Initiativen – Die Spieldesignerin und Label-Gründerin Mel Taylor aus Köln
Immer in Bewegung
Teil 2: Lokale Initiativen – Sportangebote für Jugendliche im Open Space in Bochum
Zusammen und gegeneinander
Teil 3: Lokale Initiativen – Spieletreffs in Wuppertal
Zu Gast in Europas Hauptstadt
Teil 1: Lokale Initiativen – Die europäische Idee in Studium und Forschung an der Kölner Universität
Europa verstehen
Teil 2: Lokale Initiativen – Initiative Ruhrpott für Europa spricht mit Jugendlichen über Politik
Verbunden über Grenzen
Teil 3: Lokale Initiativen – Wuppertal und seine europäischen Partnerstädte
Was keiner haben will
Teil 1: Lokale Initiativen – Das Kölner Unternehmen Plastic Fischer entsorgt Plastik aus Flüssen
Korallensterben hautnah
Teil 2: Lokale Initiativen – Meeresschutz im Tierpark und Fossilium Bochum
Wasser für Generationen
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Wupperverband vernetzt Maßnahmen und Akteure für den Hochwasserschutz
Hilfe nach dem Schock
Teil 1: Lokale Initiativen – Opferschutz bei der Kölner Polizei