Opernstoffe finden in der Regel entweder als Zitat oder als Parodie auf die Schauspielbühne. Da überrascht es, wenn die Gruppe Port in Air, die bisher für musikalisierte englischsprachige Aufführungen bekannt war, sich mit Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ auseinandersetzt. Ausgerechnet die Oper, die wie kaum eine andere Fragen nach nationaler Kunst, nach künstlerischem Fortschritt, nach Bürgerlichkeit stellt, wird zudem verblüffend werkgetreu nacherzählt. Doch so ganz erschließt sich auch nach zweieinhalb Stunden nicht, was Regisseur Richard Aczel eigentlich daran gereizt hat. Mit Hilfe von vier Holzrahmen und einer angedeuteten Gartenlaube werden die Schauplätze angedeutet.
Da flirtet der Neuankömmling Stolzing mit der jungen Eva heftig in der Kirche. Deren Vater Pogner verspricht im Schnellsprech seine Tochter an den Gewinner des Gesangswettbewerbs. Stolzings Versuch, überhaupt erst einmal Meister zu werden, um überhaupt mitsingen zu dürfen, endet im Debakel, er entpuppt sich mit Saxophon als Popmusiker. Wagners Partitur wurde von Anja Manthey auf ein Arrangement von Klavier, Saxophon und Violine ausgedünnt, das an Uri Caines Bearbeitungen denken lässt. Allerdings setzt Port in Air die Musik immer wieder einem stilistischen Schleuderkurs zwischen Rap, Gospel oder Popsong aus. Die gelegentlich gesungenen, meist im Sprechgesang oder Dialog vorgetragenen Texte werden mit aktuellen Einsprengseln angereichert, so denken Eva und Stolzing für die Flucht an Papas Auto.
Doch bei aller Komik, allen Kommentaren, den ästhetischen, politischen und gesellschaftlichen Fragen der „Meistersinger“ wird der Abend nur gelegentlich gerecht. Wagners Stabreim mag für Witze gut sein, ein bisschen mehr steckt da schon dahinter. Immerhin: Die berühmte Prügelfüge in der Johannisnacht entwickelt sich zu einer gelungenen Ohrfeigenchoreographie, danach hängen alle komplett in den Seilen. Der Konflikt zwischen dem intellektuellen Merker Beckmesser und Hans Sachs nimmt aggressive Gestalt an. Die beiden sind dann auch die einzigen, die beim Festwiesenaufzug keine Strumpfmasken überziehen. Auch wenn diese „Meistersinger“ nicht wirklich geglückt sind, diese Auseinandersetzung mit dem Genre Oper ist auf jeden Fall eine Fortsetzung wert.
„Die Meistersinger von Nürnberg“ | R: Richard Aczel | 9.,10.,28.,29.1. 20 Uhr | Artheater, Köln | 0221 550 33 44
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