In der neuen Produktion des Ensembles Port in Air hat es Shakespeares „Hamlet“ offensichtlich direkt in die 60er Jahre verschlagen: weiße Rollis, dickrandige Brillen, Pilzfrisur-Perücken und die Musik der Zeit. Und dann die auf der Bühne des Artheaters herumliegenden roten Pezzibälle. Sie werden von den Darstellern auf eine Weise gerollt, geworfen oder in die Luft gehoben, die jedem Fernsehballett Ehre gemacht hätte. Das sieht alles erst einmal gut aus, auch wenn sich nicht gleich erschließt, was es mit dem Stück zu tun haben soll. Und wenn plötzlich der Satz „Die Zeit ist aus den Fugen“ fällt, dann holen alle die Pilzperücken raus und die Show geht erst richtig los. Die 60er sind hier nicht die Zeit des politischen und künstlerischen Aufbruchs, sondern die Popkultur wird als Signum des Uneigentlichen verstanden.
Zwei Frauen haben im Hintergrund Aufstellung genommen: Rauchend, in Anzügen verkörpern sie den Geist von Hamlets Vater, ein androgynes Doppel-Über-Ich, das das kindische Treiben bei Hof den ganzen Abend im Blick behält. Dessen Herrscher Claudius sitzt im Rollstuhl, lässt sich von Hamlets Mutter Gertrud einen blasen; Horatio sieht aus wie Austin Powers, Ophelias Vater Polonius wütet wie ein Brüllaffe und erinnert an Stanley Kubriks „Dr. Seltsam“, Rosenkranz und Güldenstern sind zwei tumbe geklonte Barbiepuppen. Regisseur Aczel löst zwar die Figurenzuschreibungen nicht ganz auf, er spielt aber mit den Identitäten und lässt den Text mitunter frei zwischen den 13 Darstellern flottieren.
Hamlet gibt sich dem sich steigernden Irrsinn der aus den Fugen geratenen Zeit hin, die Aufforderung des Geistes zum Handeln wird hier als eine zum Spiel verstanden, das sich bis zum neurasthenischen Wahnsinn steigert – und der Prinz mit einem Stab ein kleines Gemetzel veranstaltet. Der Tod als Realitätsvergewisserung. Doch selbst der Gewaltakt führt nur in eine Fernsehshow und eine Gruppentherapie. Aczel und seine Darsteller reizen die darstellerischen Möglichkeiten bis zum Slapstick, drehen Shakespeares Text durch ihre Sprechmangel, bis er mitunter zum reinen Klangmaterial mutiert – für die interpretatorische Ebene hat das allerdings nur begrenzte Folgen.
„Hamlet“ von Port in Air | R: Richard Aczel | Artheater | weitere Termine im Februar 2013, | www.artheater.de
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