Mittwoch, 3. Mai: Nachdem Maha Hajs zweiter Langfilm „Mediterranean Fever“ im vergangenen Jahr in Cannes seine Weltpremiere gefeiert hatte (und dort mit dem Preis für das beste Drehbuch in der Sektion „Un certain regard“ bedacht wurde), lief der Film bereits auf den 1. Palästina-Filmtagen Köln im November 2022 in einer Deutschlandpremiere. Anlässlich des bundesweiten Kinostarts des Films in dieser Woche befindet sich die palästinensische Filmemacherin derzeit auf einer Kinotour, bei der sie am Abend des 3. Mai zunächst im Filmhaus Köln und anschließend im Apollo in Aachen Station machte. Im Gespräch mit dem Filmhaus-Theaterleiter Henner Branding äußerte sich Maha Haj nach der Projektion zu ihrem wilden Genregemisch aus Krimi, Buddy Movie, Komödie und Charakterdrama: „Wenn ich ein Drehbuch schreibe, geht es mir zunächst nur um die Geschichte, die ich erzählen will. Hinsichtlich des Genres habe ich in diesem Stadium noch keinen konkreten Plan. Bei ‚Mediterranean Fever‘ ist die Einordnung auch erst beim Rohschnitt zustande gekommen, und die finale Untergliederung in Genrekategorien nehmen dann die Produzenten oder die Verleiher eines Films vor, was ich aber gar nicht schlimm finde.“
Mit Sarkasmus gegen Depressionen
Offensichtlich bei Hajs zweitem Langfilm ist, dass die zentrale Figur Waleed unter Depressionen leidet. Für Haj sei dies der Ausgangspunkt für ihr Drehbuch gewesen, und es sei ihr auch sehr leicht gefallen, diesen Charakter zu schreiben, da sie selbst jahrelang unter Depressionen gelitten habe, bei denen die verschiedenen Behandlungen wirkungslos blieben. Insofern sei es durchaus legitim, dass „Mediterranean Fever“ so voller sarkastischem Humor stecke. „Ich mache mich nicht über die Schmerzen und Qualen anderer lustig, sondern über meine eigenen. Wir Palästinenser haben ohnehin oftmals eine sehr sarkastische Lebenseinstellung“, so Maha Haj weiter. Ihr Film würde ihre Nation ein Stückweit bloßstellen, denn nach Ansicht der Filmemacherin leiden die Palästinenser per se an einer kollektiven Depression, die sich ein Stückweit sicherlich auch aus der israelischen Besatzung ihres Landes speist. Gleichwohl muss man die politischen Hintergründe, die sehr subtil in die Handlung eingeflochten sind, nicht vollends verstehen und kann den Film auch unabhängig davon als Studie einer individuellen Depression lesen. Dazu merkte die Regisseurin an: „Mir persönlich war es wichtig, die politische Komponente in meinem Film anzusprechen, aber er sollte nicht zu einer Lehrstunde werden und durchaus auch unterschiedlich gelesen werden können.“
Ohne israelische Beteiligung
Da Haj für ihr 2016 entstandenes Regiedebüt „Personal Affairs“ (Omor Shakhsiya) eine israelische Filmförderung erhalten hatte, wurde der Film deswegen in den arabischen Ländern boykottiert. Das sollte bei „Mediterranean Fever“ nicht noch einmal passieren, weswegen sie ihn als Koproduktion der Länder Deutschland, Frankreich, Zypern, Katar und Libyen realisierte und auf israelische Unterstützung verzichtete. Auf diese Weise konnte er nun auch erfolgreich in arabischen Ländern gezeigt werden, was Haj sehr wichtig war. Mit den typischen arabischen Männer-Stereotypen hat sie in ihrem Film gleichwohl gebrochen. Die vier zentralen Männerfiguren sind allesamt auf die eine oder andere Weise krank, ihre Frauen sorgen für ihren Lebensunterhalt. Somit sind sie keineswegs die klischeebehafteten palästinensischen Helden und Freiheitskämpfer, sondern „sensible Underdogs, die leise leiden und größtenteils passiv bleiben“. Ab heute ist „Mediterranean Fever“ regulär im Filmhaus Köln und im Kino in der Brotfabrik in Bonn zu sehen.
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