Tote Kinder kommen in die Kühltruhe – das ist mörderischer, antizivilisatorischer Konsens. Und wenn die Zivilisation selbst schon Terror ist? Robert Borgmann inszeniert Hans Henny Jahnns „Medea“-Adaption von 1926 als einen sehenswerten, wenn auch mystifizierenden Bilderreigen. Medea in schwarzer Robe klagt über die sexuelle Entfremdung ihres Mannes, Jungs im Matrosenanzug streiten sich, Jason selbst wirkt wie ein kleiner Junge mit Schwert und Wurfpfeilen. Drei blonde Klone und eine afrikanische Mutter. Eine Amme mit fünf Brüsten und drei Gesichtern versucht Ordnung zu halten in dem kahlen Haushalt mit Resopaltisch, Truhe und Erdhäufchen unter einem riesigen Neonbogen, der Himmels- und Aufklärungsassoziation zugleich ist. Wenn es später zum Ehekrach kommt, weil Jason sich mit Kreons Tochter eingelassen hat, legen zunächst sieben Frauen rituell einen Weg mit Tannenzweigen aus – dann geht es in Jeans und mit Bier zur Sache.
Robert Borgmanns Bildfindungen, die dräuenden Klänge und die fabelhafte Lichtregie verfremden das Stück im besten Sinne. Vertraut ist hier kaum etwas und hermeneutische Fallen lauern an allen Ecken. Kreon als politischer Popanz lässt seinem Rassismus freien Lauf und verfügt Medeas Abschiebung, die dann zum Gegenschlag ausholt. Die finale Auseinandersetzung zwischen ihr und Jason ist dann nur noch als Projektion zu sehen: Der Neonbogen, also Mythos und Aufklärung, liegt zerbrochen auf der Bühne und versperrt die Sicht auf das Geschehen. Borgmanns dreieinhalbstündige Interpretation ist sehenswert, auch wenn sie mitunter etwas zu oft ins Raunen gerät.
„Medea“ | R: Robert Borgmann | 9.,10.5. je 19.30 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00
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