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Heiner Binding, Ausstellungsansicht Raum 17, KOLUMBA, 2017-18 (an der Wand: Leonhard Kern, Beweinung Christi, Schwäbisch-Hall, 1625-1630, Alabaster), © Künstler, KOLUMBA
Foto: Lothar Schnepf, Köln

Malerei ohne Gewicht

27. Februar 2019

Heiner Binding in Kolumba – kunst & gut 03/19

Der Pas de deux, der Dialog der Werke des Kolumba und des Römisch-Germanischen Museums befindet sich im zweiten Jahr, nur einzelne Räume sind verändert worden als Ausstellungen in der Ausstellung. So gibt es zwei Räume mit den spielerisch variierten strengen Konstellationen von Attila Kovács als posthume Ehrung zu seinem 80. Geburtstag, noch dazu im Zusammenwirken mit den Werken anderer Künstler. Und da ist die Intervention mit lediglich zwei, sich gegenüber platzierten Bildwerken eines weiteren in Köln lebenden Künstlers, von Heiner Binding. Sie scheinen auf den ersten Blick das genaue Gegenteil zu den Zeichnungen von Kovács. Während für Kovács Sorgfalt, konzeptuelles Kalkül und Reduktion kennzeichnend ist, herrscht in Bindings Ensembles aus mehreren bemalten und bedruckten Leinwänden und Hölzern der Eindruck des lapidar Zufälligen, ja, Chaotischen vor. Sie sind versehrt und rudimentär, lassen in ihrem „Überlieferten“ und dem wie Zusammengerafften an Strandgut denken. Damit greifen sie Aspekte auf, die auch bei den (im gleichen Raum präsentierten) Grabsteinen aus dem 1. Jahrhundert vorliegen.

Aber je genauer man hinschaut, desto mehr wird deutlich, dass die Kunst von Heiner Binding aus der Gegenwart stammt. Dass sie genau arrangiert, ja, komponiert ist. Nur gehört es zur Haltung von Binding, jedes augenfällig Artifizielle, „Cleane“ zu vermeiden. Sind das überhaupt Malereien? Teils handelt es sich um ornamental bedruckte Stoffe, dann wieder ist eine Leinwand umgedreht oder farbige Linien sind wie absichtslos über eine fleckige Fläche gezogen. Die Bildtafeln klappen in den Raum, der Übergang zur Skulptur findet statt, erst recht bei dem einen Werk, das wie provisorisch vom Boden ausgehend zusammengestellt scheint. Wie ein Kommentar dazu purzeln aus einer hochgestellten Kiste amorphe Betonklumpen und getackerte, mit Grünspan überzogene Holztäfelchen: Hier entfaltet ein ganz vorzüglicher, sehr eigenwilliger Künstler die ganze Klaviatur seines Schaffens.

Geboren wurde Heiner Binding 1958 in Tuttlingen bei Stuttgart. Er hat an der Karlsruher Kunstakademie studiert: bei einem figurativen Zeichner und zwei expressiv gestischen Malern. Nach abstrakt-expressiven Anfängen tritt er gegen Ende des Studiums mit Eitempera-Malereien eines Stuhles, Tisches oder Regals in Erscheinung, und bereits zu diesen Bildern Mitte der 1980er Jahre konstatiert Joachim Heusinger von Waldegg: „Fließende Übergänge stehen neben korrigierten Partien, allmählich gewachsene Farbfelder neben dicht schraffierten.“ Schon bald braucht Binding den Gegenstand nicht mehr und bleibt um so mehr gegenüber dem Prozesshaften – und damit dem Interesse an den Arbeitsspuren und dem, was sich zufällig einstellt – aufmerksam. Der Leinwandstoff selbst und der Keilrahmen werden beachtenswert. Farbe ist Farbton und als Fließbewegung oder gezogene Linie Substanz und Handlungsträger. Erinnerung ist diesen Bildern als besonderes Klima – etwa als Landschaftserfahrung – eingeschrieben; vielleicht lassen sich in diesen Bildern, die Restorte des Ausschweifenden und der Verdichtung zugleich sind, sogar Strukturen des urbanen Alltags ausmachen.

Heiner Binding hat in Kolumba Bilder aus verschiedenen Phasen kombiniert, aber mit der Anmutung des Provisorischen, fast so, als ginge ihn das alles nichts an. Wären da nicht die feinen Hinweise, etwa dass ein gemusterter blauer Stoff in Variation an drei Stellen vorkommt und sogar im gegenüber hängenden Bild wiederkehrt. Oder dass die Tackerklammern der Holzklötze wie ein Kommentieren der Keilrahmenstruktur anmuten. Dass das Grün in seinen verschiedenen Tönen entfaltet wird. Dass sich im Verhältnis der einzelnen Elemente Gesten des Haltens, Bewahrens und Umgreifens abzeichnen, sogar noch in Analogie zu der über Eck hängenden „Beweinung Christi“ (1625-30) des Leonhard Kern … Klar, möchte man mal mit Heiner Binding über sein Werk reden. Aber würde es nicht vom Selbstverständlichen der Arbeit nehmen und diese unter die Fuchtel des Zugriffs, der Konzeption stellen? Und dass alles in seiner Arbeit Sinn macht, aber gerade diese Demut sie so prädestiniert für Kolumba: das kann man nur alleine, im Raum selbst feststellen.Noch etwas ist wichtig in diesem Endraum: der Hall. Bitte horchen.

Pas de deux, Heiner Binding in Raum 17 | bis 20.8. | Kolumba | 0221 933 193 32

Thomas Hirsch

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