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Max Gilgenmann
Foto: Milan Soremski

„Lieferkettengesetz muss europäisch werden“

25. November 2020

Designer über Lieferketten in der Modeindustrie – Teil 3: Interview

choices: Herr Gilgenmann, wie vertrauenswürdig ist es, wenn ich ein mutmaßlich aus ökologischer Baumwolle und unter fairen Bedingungen produziertes T-Shirt für zehn Euro kaufen kann?

Max Gilgenmann:Das ist grundsätzlich nicht unmöglich. Material- und Lohneinsatz sind bei der Produktion gar nicht die großen Einzelfaktoren, die machen nur einen winzigen Anteil des Gesamtpreises eines Produktes aus. Die größte Kostenerhöhung von Mode findet statt, wenn die Ware von dem Großhändler an den Einzelhändler geht. Außerdem fließt bei den meisten Modeunternehmen ein sehr großer Anteil ins Marketing und zwar oft ein deutlich größerer Anteil als in die Produktion. Von dort könnte man Geld in die Produktion rüberschieben. Die Frage ist dann: Kriege ich das T-Shirt noch genauso verkauft, weil ich ja jetzt weniger Marketingmaßnahmen habe? Es gibt Berechnungen darüber, wie viele Cents mehr den Arbeiter*innen ein wirklich gutes Auskommen geben, und pro Kleidungsstück wären das theoretisch teilweise ein, zwei Cent pro Artikel, die in der Masse dafür sorgen würden, dass die Arbeiter*innen auf den sogenannten „living wage“, den lebenssichernden Lohn, kommen würden.

Trotz dieser Möglichkeiten fairer zu handeln wird ein großer Teil unserer Kleidung unter menschenunwürdigen und umweltschädigenden Bedingungen produziert.

Absolut. Besonders, wenn man die Arbeitsbedingungen in Bangladesch mit denen hier in Deutschland vergleicht, wo man sich hochfahrbare Schreibtische von der Krankenkasse finanzieren lassen kann, liegen da mehrere Welten zwischen. Wenn man das vergleicht, kann man die gesamte Lieferkette vergessen. Diese Lieferketten wurden ja auch auf extreme Effizienz getrimmt, sodass die Arbeiter*innen jeden Tag total stupide denselben Arbeitsschritt ausführen.

Mit jeder Gesetzesinitiative wird auch immer nach Lücken gesucht“

Viele Initiativen und auch einige Unternehmen setzen sich für die Einführung des Lieferkettengesetzes ein. Kann dieses Gesetz wirklich etwas an den ökologischen und sozialen Kosten der Mode ändern?

Ja, unbedingt. Ich erwarte da nicht den ganz großen Wurf. Aber es ist der Schritt in die richtige Richtung. Die Unternehmen brauchen Rahmenbedingungen, die für alle gleich sind und wo bei Missachtung auch eine Strafe möglich ist. Sonst wird sich da nichts ändern. Doch solange das Gesetz nur für Deutschland gelten würde, wäre das definitiv suboptimal und würde wahrscheinlich zu schwierigen Kompromissen führen, weil sich dann Teile der deutschen Wirtschaft zu Recht über Wettbewerbsnachteile beschweren können. Wenn ein Unternehmen aus Polen oder Frankreich das Lieferkettengesetz nicht befolgen muss, kommt es zu einer Wettbewerbsverzerrung.

H&M ist offiziell ein schwedisches Unternehmen. Müsste H&M Deutschland im Falle einer Einführung des Lieferkettengesetzes auch die neuen Regelungen befolgen?

Das hängt sehr davon ab, wie das Gesetz letztlich ausgestaltet ist. Mit jeder Gesetzesinitiative wird auch immer nach Lücken gesucht, da ist die menschliche Kreativität teilweise enorm. Für Konzerne wie H&M spielen nationale Grenzen keine wirklich relevante Rolle. Sie hängen nicht an den Gesetzen eines Landes. Doch die Gesetzgeber kriegen es nicht hin, auf diese globalisierten Strukturen angemessen zu reagieren, weil ihr Rahmen immer nur der nationale ist. Da ist eine viel stärkere Zusammenarbeit zwischen Ländern nötig. Deswegen votiere ich dafür, dass das Lieferkettengesetz so schnell wie möglich zu einer europäischen Initiative wird. Das Gesetz steht ja dafür, dass mehr Verantwortung entlang der gesamten Kette übernommen wird. Bisher gibt es diese Verantwortung nur auf einer moralischen Ebene, und die gesetzliche Verantwortung geht immer nur bis zu einer nationalen oder EU-Grenze. Das stärkste Bild, das diese Diskrepanz aufzeigt ist, dass man innerhalb der EU nur nach sehr strikten Regeln produzieren darf. Und dann tritt man an einer Stelle der EU-Grenze über und ab da gilt das alles nicht und man muss sich nur noch an den nationalen Kontext halten. Und wenn man die EU dann wieder betritt, muss die Ware, die man einführt, nur sehr oberflächlichen Normen entsprechen. Zum Beispiel darf dann bestimmte Chemie nicht mehr drin sein. Aber gegen Kinderarbeit und gegen moderne Sklaverei gibt es keine Systematik und das ist ja schon ein bisschen pervers, wenn man sich überlegt, wie hoch der eigene moralische Anspruch der europäischen Union eigentlich ist. Aber es wurde noch kein wirklich wirksamer Weg gefunden, diesen Anspruch außerhalb der EU durchzusetzen.

Unser Hauptziel ist, Transparenz einzufordern“

Im Jahr 2013 stürzte in Bangladesch die Textilfabrik Rana Plaza ein. Die Initiative „Fashion Revolution“, in der Sie sich engagieren, will sich für bessere Arbeitsbedingungen und Umweltschutz in der Modeindustrie einsetzen – auch außerhalb des Lieferkettengesetzes. Wie funktioniert die Kampagne?

Die Kampagne Fashion Revolution wurde von ein paar Pionieren der Szene in London gegründet. Unser Hauptziel ist es, Transparenz einzufordern. Mit den Strategien der letzten Jahre allein, also Aufklärung, erhobener Zeigefinger und Negativkommunikation, kommt man nicht so weit. Fashion Revolution spielt explizit mit der Sprache der Mode und nutzt deren typische Marketingwerkzeuge wie Positivkommunikation, aber wir verpacken andere Inhalte. Die Inhalte bei uns sollen sowohl sachlich wie modisch überzeugen, um sie zugänglicher zu machen und damit sie off- wie online gerne weitergetragen werden. Der zweite Fokus ist die soziale Ebene. Wir müssen den Konsumenten aufzeigen, dass die Arbeiter*innen unter Umständen arbeiten, die man selber sich nicht wünschen würde.


Unfreier Handel - Aktiv im Thema

saubere-kleidung.de | Die deutsche Abteilung des internationalen Netzes Clean Clothes Campaign (CCC), das sich seit 1989 für Gerechtigkeit in der Modeindustrie einsetzt.
lieferkettengesetz.de/ | Der Zusammenschluss diverser Organisationen veranschaulicht, warum es ein Lieferkettengesetz braucht, was es leisten kann und was dafür zu tun ist.
brot-fuer-die-welt.de/themen/gegenargumente-lieferkettengesetz/ | Das Hilfswerk entkräftigt geläufige Einwände gegen ein Lieferkettengesetz.

 

Interview: Elena Ubrig

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