Macht ist nicht denkbar ohne den Raum, in dem sie ausgeübt, und den Widerstand, gegen den sie eingesetzt wird. King Lear (Martin Reincke in seiner letzten Rolle am Schauspiel Köln) sitzt auf einem kleinen Betonsockel, der auf einer gewaltigen Platte ruht, die wiederum von zahllosen Männern in die Höhe gestemmt wird. Dieses Reich wird er unter seinen Töchtern Goneril (Birgit Walter), Regan (Nicola Gründel) und Cordelia (Katharina Schmalenberg) aufteilen. Doch letztere ist zu unterwürfigem Liebesschwüren nicht bereit, die anderen beiden wiederum sind genervt von der Aufdringlichkeit des Alten. Umso mehr, als Lear zwar bruchlos von Jovialität zu manischer Wut wechseln kann, letztlich aber nicht gefährlich, sondern vor allem zutiefst narzisstisch ist.
Regisseur Rafael Sanchez und Bühnenbildner Simeon Meier verorten das Drama in einer rabenschwarzen (verbrannten?) Welt, in der ein paar „Beton“-Platten und Projektionen genügen, um Räume zu schaffen. Allerdings spielt die Inszenierung der Parallelhandlung um den Grafen Gloster (Bruno Cathomas), seinen Sprößlich Edgar (Katharina Schmalenberg) und seine unehelichen manipulativ-verschlagenen Sohn Edmund (Seàn McMcDonagh) breit aus. Und so entsteht eine merkwürdig additive Szenenreihung, in der Lear und Gloster als die beiden betrogenen Väter gleichrangig nebeneinander stehen – gerade auch weil Bruno Cathomas groß aufspielt. Klar, es geht um Gier nach Macht, um abtrünnige Kinder, um Manipulation und Opportunismus – und die Gefahr des Nihilismus, die immer wieder beschworen wird. Und um Ordnung. Doch worum es der Inszenierung letztlich geht, das weiß man auch nach dreieinhalb Stunden nicht wirklich.
König Lear | R: Rafael Sanchez | 6., 16., 22.11. | Schauspiel Köln | 0221 221 284 00
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