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„Kleines“ von Hannah Moscovitch
Foto: Ana Lukenda

Kleine böse Dinge

06. Februar 2017

Hannah Moscovitchs „Kleines“ am Schauspiel Köln – Theater 02/17

„Das Grundthema ist, dass zwei Menschen versuchen, miteinander klarzukommen. Es geht um Fragen wie: Was ist Liebe? Inwieweit ist Liebe definierbar? Was passiert, wenn die Grenze der Liebe erreicht ist?“, fasst Regisseurin Charlotte Sprenger (26) „Kleines“ aus ihrer Sicht zusammen. Klingt einfach, ist in diesem Fall aber reichlich kompliziert. Es geht um Aaron (Nikolaus Benda) und Claire (Sophia Burtscher, brillant in anspruchsvoller Doppelrolle in „Iwanow“), die als Kinder von Pflegeeltern aufgenommen und aufgezogen wurden. Während Aron aus halbwegs stabilen Verhältnissen stammt und zu einem halbwegs normalen Mann heranwächst, kommt Claire aus zerrütteten Verhältnissen und schafft es – trotz aller Bemühung – nicht, ihr gestörtes Verhalten abzulegen. Aggression, Lügen, Selbstzweifel, Eifersucht und Verführung wechseln ständig. Aaron, von den Pflegeeltern genötigt, Geduld für das traumatisierte Mädchen aufzubringen, verstrickt sich im Lauf der Zeit in eine unheilsame Abhängigkeit von seiner „Schwester“. Das führt so weit, dass sie heiraten und eine scheinbar normale Ehe führen. Doch hinter der bürgerlichen Fassade herrschen Verletzungen, Aggression, Kampf und Verzweiflung.

Vom Heute ausgehend erfolgen Rückblenden in die Vergangenheit der „Geschwister“. „Am Anfang besteht eine räumliche Trennung, wofür die Insel steht, die freie Assoziationen erlaubt und einen Erinnerungsraum bildet. Am Anfang ist alles klar, doch dann vermischen sich nach und nach die Ebenen“, erläutert Sprenger ihre Herangehensweise. Mit originellen Regieeinfällen werden verschiedene Aspekte der Beziehung versinnbildlicht: Ein über allem schwebender Haifisch symbolisiert Claires Aggression, Aaron verschanzt sich in einer undurchdringlichen Eishockey-Montur, ein riesiger Smiley kontrastiert die Verzweiflung. Claire entreißt einem Teddybär Stück für Stück sein Innenfutter – das Chaos auf der Bühne wächst unaufhörlich. Dazwischen legen die beiden in Anziehung und Abstoßung Verstrickten ein bezauberndes Duett „Baby, It's Cold Outside“ (Frank Loesser, 1944) aufs Parkett. Bei der Kälte draußen sucht man die Nähe des anderen, auch wenn sie schmerzhaft ist.


Regisseurin Charlotte Sprenger, Foto: Katja Sindemann

„Claire ist traumatisiert, als sie in die Familie kommt. Im Lauf der Zeit wird sie jedoch zu Aarons Trauma. Nicht alles wird konkret erklärt, es gibt verschiedene Deutungsmöglichkeiten. ‚Kleines‘ beleuchtet die Beziehung aus unterschiedlichen Perspektiven, man weiß nicht, auf wessen Seite man stehen soll“, umreißt Sprenger ihre Position. Das ist ihr tatsächlich gelungen. Denn Aaron ist nicht nur hilfloses Opfer. Er versucht Claire zu zwingen, ihren ursprünglichen Namen preiszugeben. Die Bedeutung der Namensmagie lernt man bereits bei Grimms Märchen. Wer den richtigen Namen weiß, hat Macht über die Person. Zu Recht verweigert sich Claire Aarons Forderung und rächt sich mit „kleinen bösen Dingen“. Die sie, verzweifelt um Normalität bemüht, dann leugnet und bedauert.

Wer hat Nikolaus Benda und Sophia Burtscher ausgesucht? „Das war ich. Der Text ist emotional, da muss die Chemie zwischen beiden stimmen. Nikolaus kannte ich bereits, Sophia ist neu hier, aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass sie gut passt. Das hat sich bewährt!“ Für die Auswahl des Stückes sei sie selbst verantwortlich gewesen. „Intendant, Dramaturgie und ich waren uns einig, dass wir neue Stücke junger Autoren zeigen wollen. Meine Mutter schickte mir einen Artikel über die kanadische Autorin Hannah Moscovitch. ‚Kleines‘ lag in deutscher Übersetzung bei Rowohlt vor. Ich wusste sofort: Das ist es!“ Die Stücke von Hannah Moscovitch, Hausautorin des Tarragon Theatre in Toronto, sind preisgekrönt. Als Kind hörte sie den Bericht einer Frau, die ihre Pflegetochter weggab, weil sie deren Gewalttätigkeit nicht mehr aushielt. Diese Erinnerung klang in ihr nach, wurde zu „Little One“, das 2011 in Toronto uraufgeführt wurde. „Das Stück steht in der angelsächsischen Tradition, wo die Autoren im Vordergrund stehen, im Unterschied zum deutschen Regietheater, wo die Künstler dominieren. Diese Reibung hat mich gereizt“, so Sprenger. Bei entsprechendem Interesse wird „Kleines“ über März hinaus verlängert. Das überwiegend junge Premierenpublikum applaudierte jedenfalls begeistert.

„Kleines“ | R: Charlotte Sprenger | 9., 10., 12.2., 4., 10., 16., 22.3. 20 Uhr | Schauspiel Köln: Außenspielstätte am Offenbachplatz | 0221 22 12 84 00

Katja Sindemann

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