Umsatz sei nicht alles, aber ohne Umsatz alles nicht: Ein Satz von Mathias Döpfner, dem Vorstandsvorsitzenden des Springerkonzerns, kürzlich geäußert anlässlich des bevorstehenden Total-Relaunchs seines Hauses. Ein so geschliffener wie banaler Satz, an den man in Stefan Bachmanns Dramatisierung des Romans „Johann Holtrop“ denken muss. Diese „Charakterstudie“ des Autors Rainald Goetz gilt einem Manager auf den Kommandohöhen eines Großkonzerns und damit dem Unternehmertum als geistiger (Ver-)Blendungszusammenhang. Goetzens Abziehbild war der Arcandor-/Bertelsmann-CEO Thomas Middelhoff, der besoffen von Arroganz, Narzissmus und eingebildetem Glamour jahrelang durch die Wirtschaftswelt tingelte.
Bachmann, der den Roman zusammen mit Dramaturgin Lea Göbel auf seine Essenz verdichtet hat, überführt den Plot in eine höchst abstrahierte Form: Im Bühnenbild von Olaf Altmann aus unzähligen senkrecht gespannten Gummi-Fäden, einem durch Menschen nicht zu verändernden Fadenreich agiert ein achtköpfige Frauenensemble (beides schon aus Bachmanns Inszenierung von Goetzens „Reich des Todes“ bekannt) mit einem artifiziellen Sprechgesang, der mal rezitativisch, mal arios, mal solistisch, mal als Duo, Terzett oder Chor exerziert wird – musikalisch unter mal von einem vierköpfigen Ensemble unter Sven Kaiser. Die entpsychologisierte Artifizialität tariert den Management-Kitsch der gleich doppelten Verfallsgeschichte des Johann Holtrop aus.
Melanie Kretschmann im blauen Anzug macht schon beim Büro-Kaffee am Morgen und bei der Kündigung des Kollegen Thewe (Ines Marie Westernströer) klar, dass dieser Avatar des Unternehmertums gar nicht zur Tragik fähig ist; sein ganzes Agieren entspringt und endet in einem narzisstischen Spiegelkabinett: Gleichgültig, ob er sich mit den Eigentümern des Unternehmens, dem leicht grotesken Ehepaar Assperg (Anja Lais, Lea Ruckpaul), ein Stelldichein gibt oder der willfährigen Journalistin Zegna (Rebecca Lindauer) ein Interview gibt. Selbst Holtrops Geld-Gier, sein eingebildetes Demiurgentum, die inszenierte Lust an der Dezision – alles bleibt im Rhythmus der sich biegenden Körper und der getakteten Sprache einem artifiziellen Oberflächenglanz verbunden. Selbst als Holtrop das ultimative „Es ist vorbei!“ der Asspergs in sich inhaliert, von Freiheit faselt und zusammenbricht, bleibt dies reine gesellschaftlich vorgeformte Zusammenbruchs-Choreographie. Sein neuerlicher Aufstieg, samt neuerlichem Absturz in der Finanzkrise 2008 nicht minder.
Was Bachmann an Holtrop vorexerziert, zielt zwar auf die Hybris des Ökonomischen in Gestalt des Managers; ob sich daraus ein verallgemeinerbarer Sozialtypus ausstanzen lässt, bleibt dahingestellt. Der banale Größenwahn der Figur, der allseits betriebswirtschaftlicher Ignoranz attestiert wird, wirft allerdings auch ein grelles Licht auf die Holtrop hypenden Wirtschaftseliten. Am Ende bleiben vor allem Fragen: Sind Manager letztlich also genauso banal wie wir alle? Ist Macht nur eine Sache des (Ver-)Blendungszusammenhangs? Muss uns angesichts solcher Konzernlenker nicht schwindelig werden. Fragen über Fragen!
Johann Holtrop | R: Stefan Bachmann | 20., 21., 23.4. je 19.30 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 221 284 00
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