„Das Text-Material von Schiller zu Splittern zerschlagen“ war das Ziel von Regisseur Kristóf Szabó. Eine frivole und mit starker Bildsprache ausgestattete Interpretation ist das Ergebnis. „Die Jungfrau von Orleans“ kann man schwerlich zu den zeitlosen Dramen von Friedrich Schiller zählen. Eine vom heiligen Geist beseelte Gotteskriegerin zieht für König und Vaterland gegen die Engländer in die Schlacht, um sich kurz darauf der väterlichen Autorität unterzuordnen und schlussendlich als Märtyrerin für Frankreich zu sterben. Sicherlich: Ein Plädoyer für den (damals noch fortschrittlich und liberal geltenden) Nationalstaat. Die göttliche Kriegslust und das dualistische Korsett von Gut und Böse sorgen aber doch für Irritationen. Kristóf Szabó hat das erkannt und liefert mit seiner dreistündigen Inszenierung eine sehr freie Interpretation des Dramas, in der teilweise ganze Akte und Hauptfiguren links liegen gelassen werden, um einer Johanna (Theresia Erfort) Platz zu machen, die in den Wirren des Krieges um ein Stück Autonomie kämpft. Die weiße Bühne dient dabei als Projektionsfläche für Installationen und Spielwiese des tanzwütigen Ensembles. Zum Schlüsselelement des Kampfes um Macht werden eine Reihe roter Bänder, die sich mal schlingpflanzenartig um den Körper der Hauptfigur zuziehen und sich mal in den Händen der nunmehr fädenziehenden Johanna wiederfinden.
Durch die eindringliche Symbolsprache wird immer wieder deutlich, worum es hier wirklich geht: Gut und Böse, Teufel und Gott werden präsentiert als leere Versprechungen der reinen Lehre, die als Legitimation von Macht und Deutungshoheit herhalten müssen. Auch die Zuschauer werden dabei clever in das Spiel eingepflegt und müssen nicht nur moralische, sondern auch machtpolitische Fragen beantworten. Dass das Stück seine Spannung nicht über die vollen drei Stunden halten kann, mag man dabei verzeihen. Immer wenn es ins Klamaukhafte und Absurde zu kippen droht, hält das Ensemble das Publikum mit erfrischenden Ideen bei der Stange. Eine gelungene Inszenierung eines verstaubten Klassikers.
„Die Jungfrau von Orleans“ | R: Kristóf Szabó | keine weiteren Termine | Orangerie Theater
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Wege aus der Endzeitschleife
„Loop“ von Spiegelberg in der Orangerie – Theater am Rhein 04/24
Das Theater der Zukunft
„Loop“ am Orangerie Theater – Prolog 04/24
Musik als Familienkitt
„Haus/Doma/Familie“ am OT – Theater am Rhein 03/24
Falle der Manipulation
„Das politische Theater“ am OT – Theater am Rhein 02/24
„Wir wollten die Besucher:innen an einem Tisch versammeln“
Subbotnik zeigt „Haus / Doma / Familie“ am Orangerie Theater – Premiere 02/24
Radikaler Protest
„Ein Mensch ist keine Fackel“ in der Orangerie – Theater am Rhein 01/24
Was ist hinter der Tür?
„Die Wellen der Nacht …“ in der Orangerie – Theater am Rhein 12/23
Trauma und Identität
„Mein Vater war König David“ in Köln – Theater am Rhein 10/23
Die extremste Form des Protests
„Ein Mensch ist keine Fackel“ in der Orangerie – Prolog 10/23
Überleben im männlichen Territorium
Festival Urbäng! 2023 im Orangerie Theater – Prolog 09/23
„Mir war meine jüdische Identität nie besonders wichtig“
Lara Pietjou und Regisseur Daniel Schüßler über „Mein Vater war König David“ – Premiere 09/23
Offen für Genreüberschreitung
Open Mind Festival in der Orangerie – Musik 06/23
Für die Verständigung
Stück für Gehörlose am CT – Theater am Rhein 03/24
Im Höchsttempo
„Nora oder Ein Puppenhaus“ in Bonn – Theater am Rhein 03/24
Wo ist Ich?
„Fleischmaschine“ am FWT – Theater am Rhein 02/24
Wiederholungsschleife
„Soko Tatort“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 02/24
Emotionale Abivalenz
„Sohn meines Vaters“ in Köln – Theater am Rhein 01/24
Übung in Demokratie
„Fulldemo.cracy“ am Studio Trafique – Theater am Rhein 01/24
Welt ohne Männer
„Bum Bum Bang“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 12/23
Weiter mit der Show
„Von Käfern und Menschen“ am TiB – Theater am Rhein 11/23
Ende der Zivilisation
„Eigentum“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 11/23