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Im Schatten des Mammutbaums

30. Juli 2015

Hart gekochte Literatur fürs Sommerloch – Wortwahl 08/15

Hochsommer, brüllende Hitze. Hund und Katze verweigern sich jeglicher Aktivität. Die Klimaanlagen der Bahn stellen ihren Dienst ein. Nur der Mensch lässt sich in seinem unermüdlichen Vorwärtsstreben nicht vom unwirtlichen Klima abhalten. Hätte die Sonne ihm doch bloß dereinst das Hirn verbruzzelt. Nix wäre es gewesen mit den sogenannten kulturellen Errungenschaften. Rein auf das Sein hätten wir uns konzentrieren können. Im Schatten des Mammutbaums. Stattdessen schaffen wir es in unserem zivilisatorischen Fortschritt sogar, das ehedem so betuliche Sommerloch in einen teuflischen Brutherd zu verwandeln, auf dem die garstigsten Innereien der Menschheit überkochen.

Schon Urlaub gemacht? Mittelmeer? Malta? Wo sich das frühmorgendliche Strandidyll in ein Bild von „Möwe ohne Krabbe auf Leiche vor Sonnenaufgang“ verwandelt?! Das ist selbst für einen Ex-BKA-Zielfahnder mit Tequila-Lähmung kein vergnügliches Ambiente. Hingerichtete Boatpeople, Schutzgelderpressung und dann noch mafiöser Menschen- und Organhandel: Da brennt auch Martin Schönes Cool Guy die Sicherung durch: Wolf sieht rot [Pendragon].

Nur: Zuhause ist auch nicht verlockender. Seit Fukushima und Atomausstieg muss man ja jederzeit befürchten, dass der Kühlschrank ausfällt. Was ein Ökohorror: Statt Red Bull on the Rocks nur noch laukalte Feinstaubsmoothies, weil im Hintergrund irgendwelche ausgebufften Investoren die wirtschaftliche Effizienz der Kohleenergie wiederentdeckt haben. Eine kapitale Wende [Picus], in deren Folge auch Eva Ladipos Held dem Adrenalinrausch des großen Geldes verfällt – wäre da nicht der ungeklärte Selbstmord seines Ex-Kollegen.

Da wünscht man glatt seinen großen Zeh im Sommerloch-Schlund von Sammy, dem Kaiman. Stattdessen füllt sozialer Terror die Gazetten: Gentrifizierung, Glaubenskriege, Missbrauch, Gewinnmaximierung. Deutschland, deine Pulverfässer. Doch noch ist es ‚nur‘ die „Rache“ [Berlin] Einzelner, anhand deren Psychogramme Jochen Rausch dem Sozialstaat den Spiegel vorhält …

Vor diesem Hintergrund liest man Jim Thompsons staubig-verschwitztes Malocherdrama mit ganz anderen Augen. Von wegen Love & Crime oder Wild-West-Arbeiterromantik: Südlich vom Himmel [Heyne], an der gesetzlosen Pipeline-Trasse, liegt der Vorhof zur modernen Hölle. Ein bitter-trockener Noir von einem, der immer wusste, worüber er schrieb, bevor er verhungerte.

Nicht in der japanischen, sondern vielmehr in solch genialischer Hard-Boiled-Literatur liegen denn auch die schriftstellerischen Wurzeln von Haruki Murakami. Speziell seine ersten beiden, die sogenannten Küchentisch-Romane Wenn der Wind singt / Pinball 1973 [DuMont] fesseln mit einem inhaltlichen wie stilistischen Minimalismus, der auf seine ganz eigene Art die Popliteratur vorausgenommen hat.

Diese buddhistische Lässigkeit von Chandler & Co., diese Fähigkeit, sich nicht zu wichtig zu nehmen und das Hirn als Spielzeug zu betrachten, ist denn auch die Grundvoraussetzung, um sich an eine Fortsetzung der Philip-Marlowe-Romane zu wagen; auch für einen Booker-Preisträger wie John Banville alias Benjamin Black. Kongenial gelesen von Christian Brückner entfacht Die Blonde mit den schwarzen Augen [parlando] ein so beseeltes Vintage-Vergnügen, dass man den Schatten des Mammutbaums gern gegen einen Ventilator tauscht.

LARS ALBAT

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