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Nichts als Schmerzen

24. September 2015

Die Liebe und ihr sündhaft teurer Preis – Wortwahl 10/15

Mag draußen auch der Krieg toben: Wenn drinnen der Baum brennt, hat der Mensch für nichts anderes mehr ’nen Kopf. Wenn man beim Thema Liebeskummer überhaupt von Kopf reden kann. Von wegen Morgen ist es vorbei [Luchterhand]. Nichts scheint unendlicher als der Schmerz, wenn sich das höchste aller Gefühle als „Bumerang aus Stacheldraht“ entpuppt. Ein exorbitanter Preis für ein paar Hormone. Und doch sind Kathrin Wesslings Stories derart eindringlich, dass man sich in seiner Melodramatik bisweilen geradezu in die schlimmsten Stunden zurücksehnt.

Verletzt, waidwund war garstiger Zynismus ein prächtiger Schutzwall. Von hier aus lässt sich hämisch auf Spatzen mit Kanonen schießen. Wohin man schaut: pure Idiotie. Das Sein nichts als eine sinnentleerte Blase. Mit diebischem Vergnügen, voll eisig funkelnder Intelligenz lässt sich an dem Stuhl sägen, auf dem man sitzt. Und doch stellt sich wie in Bettina Steinbauers Roman „Das Unbehagen der Elsa Brandt“ [Solibro] die Frage, ob wir hier nicht rein aus verletzter Eitelkeit unsere Selbstliebe zu Grabe tragen.

Aber was, wenn einem schon im Kindesalter das Herz rausgerissen wurde, als man sich noch nicht Kraft seines Verstandes oder mit Hilfe einer Pumpgun Pein und Peiniger entledigen konnte, stattdessen allein posttraumatische Amnesie vor dem Wahnsinn bewahrte? Dunkel thront die Burg seiner schulischen Unterweisung im örtlichen Konvikt über Jakobs Leben; erst recht, als der Frühpensionär in sein Elternhaus zurückkehrt und sich die Vergangenheit in seine Gedankengänge fräst. Nur: Was kann er jetzt noch seiner Erinnerung und damit sich selber glauben? Ein bitteres „Sacrificium“ [Wieser], das Franz-Josef Weißenböck da zeichnet.

Ganz anders: Seamus Smyth‘ Red Dock. Er kann nicht vergessen, was die Klosterbrüder und die verlogene Gesellschaft getan haben. Stattdessen übernimmt er ihre Gefühlskälte und zelebriert in aller Akribie sämtliche „Spielarten der Rache“ [pulp master]. Die Manipulierbarkeit des Menschen auskostend. Geradezu höhnisch im Ausmaß der Gewalt. Und das mit einer dissozialen Lässigkeit, dass die Pulp-Fetzen nur so fliegen. Bisweilen grotesk bis aberwitzig. Doch genau damit legt er den Mittelfinger in die abstoßende Wunde unserer vermeintlichen Kultiviertheit.

Sensibilisiert für das perfideste aller Verbrechen beschleicht den Leser denn auch bei Bonnie Nadzams „Mr. Lamb“ [dtv] ein stetes Grauen. Was ermächtigt diesen David Lamb, die elfjährige graue Maus Tommie aus ihrer tristen Existenz zu ‚entführen‘ und ihr seine Sicht der Dinge aufs Auge zu drücken? Auch wenn immer wieder Herzblut durchscheint, kann er sich doch nicht von den Anwandlungen eines „American Psycho“ befreien. Fesselnd, verstörend, nicht zuletzt, wenn es finale Tränen regnet, die zugleich auch der eigenen tatenlosen Selbstgerechtigkeit gelten könnten.

Da verspricht auch Eudora Weltys Western-Märchen keine Linderung. Als archetypisches Verwechslungspiel hat der „Räuberbräutigam“ [Klett-Cotta] in seiner triefend schwarzen Ironie selbst 63 Jahre nach Erscheinen nichts an Aktualität eingebüßt. Wild und unzähmbar ist die Liebe. Und doch droht sie zu verkümmern in der Zange aus blinder Funktionalität und tumben Konventionen. Wen wundert's, dass nicht nur drinnen, sondern auch draußen Krieg tobt …

Lars Albat

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