Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
28 29 30 1 2 3 4
5 6 7 8 9 10 11

12.601 Beiträge zu
3.825 Filmen im Forum

Leichte Kost

24. November 2016

Für eine kalorienbewusste Literaturzufuhr im Advent – Wortwahl 12/16

Wop! Die Martinsgans war ein erster Vorgeschmack. Außen knusprig, innen zart wie Butter. Wie sagt man so schön? ’ne echte Wucht! Von den Kalorien leider nicht minder. Doch die sind beileibe nicht der einzige Grund, warum sich Bürgerinnen und Bürger derzeit schweißgebadet in ihren Betten wälzen. Wie ein wild gewordener Mob tobt der Vorweihnachtsstress des Nächtens durch ihre Hirnwindungen (was wiederum zu noch reichhaltiger Nahrungszufuhr führt). Also: Höchste Eisenbahn auch bei den Literaturempfehlungen mal auf leichte Kost umzusatteln.

Rechts blinken, links abbiegen“ [Kein & Aber]: Klingt nicht nur vom Titel nach tragikomischer Realsatire. Sonja, 42, will endlich den Führerschein machen, um aus der Sackgasse ihrer grenzenlosen Singlefreiheit zu entkommen. Doch schon beim Schalten gehen die Probleme los. Ein gefundenes Fressen für ihre metaphorisch hochbewanderte Massagetherapeutin, die selbstredend auch für Sonjas Lagerungsschwindel oder ihre Fußfehlstellung eine psychosomatische Weisheit parat hat. Bitter und komisch zugleich. Ohne große Gefühlsduselei gelingt es Dorthe Nors, ein einfühlsames Portrait im Schatten der immer wieder heraufbeschworenen trauten Zweisamkeit zu zeichnen.

Kommt bei der jungen Dänin der (schwarze) Humor hin und wieder ein wenig zu kurz, so ist man bei Jeremy Massey angenehm überrascht, dass „Die letzten vier Tage des Paddy Buckley“ [carl's books] nicht ins Alberne abdriften. Als Bestatter sollte man die Finger von der Witwe lassen. Erst recht, wenn diese eine Herzschwäche hat. Und ganz erst recht natürlich von der Tochter, nachdem man ihre Mutter ungewollt ins Jenseits vertröstet hat. Da ist man dann schon mal so durch den Wind, dass man aus Versehen den Bruder des meist gefürchteten Gangsters überfährt, dessen Beerdigung Paddy in der Folge auch noch zu übernehmen hat … Hier nicht eine „Nackte Kanone 66 1/6” zu produzieren, sondern eine leichtfüßige Love‘n‘Crime-Ballade, zeugt von großer Kunst und geerdetem irischem Witz.

Mit dem Tod kann man‘s ja machen. Beim Thema Fußball hingegen bewegt man sich auf einem ausgemachten Minenfeld. Da hilft auch nicht der Sprung in die Vergangenheit, als in den unteren Ligen noch ein paar erste schmalspurkriminelle Spielervermittler ihr geschäftliches Unwesen suchten und ein drömmeliger Käseblattschreiberling mal eben in ein solches Skandälchen reinrutschen konnte. Mit ‚Investigation‘ hat „Schweine befreien“ [Verbrecherei] von 11 Freunde-Autor Jens Kirschnek dann auch wenig zu tun. Sein Anti-Held Grabowski kann es einem jedoch durchaus antun, wie er so ‚some-30-leutselig‘ durch die Welt tapert. Irgendwie liebenswert retro-romantisch.

D.W. Wilsons Protagonisten haben da einen ganz anderen Wumms. Ob Knabe, Halbstarker oder gestandenes Mannsbild, die unwirtliche Kleinstadtöde am Rande der kanadischen Rockies macht aus ihnen samt und sonders bodenständige Kämpfernaturen, die trotzdem oder vielmehr deswegen „Den Boden nicht berühren“ [dtv]. Umso charmanter, ehrlicher schillern ihre Gefühle, Träume, Sehnsüchte durch die rauen Short Stories, während sie in natura ungesehen am nächtlichen Sternenhimmel verglühen. Von Erlösung keine Spur. Dafür fühlt man sich als Leser im Kampf gegen die (weihnachtlichen) Windmühlen nicht mehr ganz so allein …

LARS ALBAT

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Thunderbolts

Lesen Sie dazu auch:

Dorf-Diorama
Urszula Honek im Literarischen Salon

Autor, Poet, Literaturfreund
Buchvorstellung in Köln

Annäherung an eine Mörderin
Prune Antoine liest in Bonn

Ein Meister des Taktgefühls
Martin Mosebachs Roman „Die Richtige“ – Textwelten 05/25

Unglückliche Ehen
„Coast Road“ von Alan Murrin – Literatur 04/25

Über Weltschmerz sprechen
„Alles, was wir tragen können“ von Helen Docherty – Vorlesung 04/25

Verlustschmerz verstehen
„Als der Wald erwachte“ von Emma Karinsdotter und Martin Widmark – Vorlesung 03/25

Cool – cooler – Aal
„Egal, sagt Aal“ von Julia Regett – Vorlesung 03/25

Aus dem belagerten Sarajevo
„Nachtgäste“ von Nenad Veličković – Literatur 03/25

Der legendäre Anruf
Ismail Kadares Recherche über Stalin und Boris Pasternak – Textwelten 03/25

„Afrika ist mehr als Hunger und Krieg“
Autor und Influencer Stève Hiobi über sein Buch „All about Africa“ – Interview 02/25

Internationales ABC
„A wie Biene“ von Ellen Heck – Vorlesung 02/25

Literatur.

HINWEIS