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Sinkendes Zentralgestirn in Zeiten steigender Aktienkurse
Sebastian 23

Im Park parken

07. März 2011

Sebastian23 zählt an: Sechs - die Video-Kolumne - Poetry 03/11

Wenn man ein sanftes Drücken spürt, dass sich von innen gegen die Schläfen lehnt, bis sich schließlich ein schmaler Spalt im Schädel auftut, aus dem vorsichtig hervorsprießend ein Osterglöckchen nach ersten Sonnenstrahlen sucht, dann wird es Metapher, bzw. Frühling; kurz: März.

Die Menschen beenden ihre Beziehungen, denn die wärmebedingte Wiedererweckung ihres Hormonhaushaltes spült die Lust auf Neues an den Strand ihrer Lenden. Außerdem ist es nicht mehr so kalt, dass man Liebe braucht, um sich zu wärmen. Sex reicht.

Spät rechts einschlafen
„Das Grüne grünt“, wie Heidegger gesagt hätte. Dieser Philosoph, der dereinst von den Almen des Schwarzwaldes an die Universität Freiburg hinab wandelte, hatte nämlich einen eigenen Zugang zur Sprache. Gerne sagte er: „Die Welt weltet“ oder „Der Tisch tischt“. In Anbetracht einer Kirmes hätte er vermutlich gesagt, dass sie kirmst, während er autoscootet und im Allgemeinen heideggert. Als er das soweit geklärt hatte, wandte er sich anderen Fragen zu, z.B., was im Wort „Dasein“ das „Da“ bedeutet oder, ob das ursprüngliche Erleben des Menschen sich als Geviert der Weltbezüge beschreiben lässt. Man merkt schon, dass es bei Heidegger oft Frühling war, zumindest blüht da sprachlich so einiges. Hätte ich meinerseits seinerzeit auf der Kirmes so geblümt gesprochen, hätte mir auch einiges geblüht. Da gab es im Dunstkreis des Autoscooters genug Jungs, deren Geviert der Weltbezüge ganz ursprünglich durch ihre Fäuste sprach. Die fragten höchstens mal nach dem „Au“ in „Aua“. Dann hieß es: Pflaster lässt sein fleischwurstfarbenes Band wieder flattern durch die Lüfte.

Früh links erwachen

Aber jetzt ist das Band grün und über allen Schlägern ist Ruh, denn es ist Frühling. Es ist nicht mehr so kalt, dass man Gewalt braucht, um sich zu wärmen. Text reicht. Frühling. Da blühte es nicht nur in Heideggers Formulierungen, da lächeln auch die ratternden Schreibmaschinen der Journalisten gerne mal chlorophylstrotzende Satzsprießlinge auf die fruchtbar weißen Äcker des Papiers.

Dieser Satz aus einer Opernkritik in der „Welt“ kann nur dem triebhaften Lenz entsprungen sein: „…diese Geschichte reduziert sich zwischen Pappquadern und goldener Gotik-Laubsägearbeit auf einen brokatgefütterten Kostümschinkentoast im ligurischen Reichskanzleistil.“Der Satz hat selbstverständlich seinen Weg in den Hohlspiegel gefunden, kann aber nicht oft genug gedruckt werden. Nein, so wie der Frühling jedes Jahr erneut den Bodenfrost das Fürchten lehrt und die Schneemänner und Hosenlatze zum Schmelzen bringt, sollte er regelmäßig aufleuchten als Signallicht am nebeligen Horizont des Sprachverlusts.

Der Satz setzt sich

Man stelle sich vor, was Heidegger mit diesem Satz hätte anstellen können, hätte er ihn nur im Geviert seiner Weltbezüge vorgefunden: „Die Pappquader pappquadern, der Kostümschinkentoast kostümschinkentoastet und der Reichskanzleistil versteckt ein Ei.“ Aber das war natürlich gar nicht der Reichskanzleistil, sondern der Osterhase, den Heidegger da meinte. Dieses freche Mümmelmonster ist aber einen Monat zu früh und hat in einer Märzkolumne nichts verloren. Aber keine Sorge, dem werde ich zeigen, wer hier kolumnt. Nur weil Frühling ist, muss man sich ja nicht alles blühen lassen. Schreibt euch das hinter die Löffel, Heidegger und Osterhase. Die Sonne sonnt; ich geh jetzt in den Park und parke.

Sebastian 23

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