Wie sieht ein Radio aus, und warum hat es diese Form? Die aktuelle Wechselausstellung im MAKK geht der Geschichte des Radio-Designs über einen Zeitraum von rund 100 Jahren nach. Über viele Jahrzehnte ist das Radio Ausdruck für technischen Fortschritt und primäres Nachrichten-, aber auch Unterhaltungsmedium. Es bedeutet Teilhabe am Weltgeschehen und ist im trauten Heim dort platziert, wo die Familie zusammensitzt. Um nun das zeitliche und gesellschaftliche Milieu zu beschreiben, in dem das Radio seine Wirkung entfaltet hat, hat das Museum für Angewandte Kunst in seiner Ausstellung mehrere Hörstationen eingerichtet.
Seit 1970 baut das MAKK eine eigene Sammlung zum Radio als Designobjekt auf. Dazu gehört auch die Sammlung Winkler, die mit ihrem Bestand den Schwerpunkt auf die 1920er bis 1950er Jahren in den USA legt. Gerade der Blick auf Amerika verdeutlicht in der Ausstellung die Pionierleistung der Designer. Tatsächlich begann das Radio diesbezüglich bei Null, es gab kein Vorbild. In Deutschland hatte Heinrich Hertz 1896 die ersten Worte über das Radio gesprochen. 1923 wurde die erste deutsche Radiosendung ausgestrahlt, 1926 hörten in Deutschland bereits eine Million Teilnehmer zu. Parallel zu den Konstruktionen im Eigenbau wurden Formen für die Serienproduktion entwickelt. Die Ausstellung im MAKK setzt mit dem „Funk-D-Zug“ der Siemens & Halske AG in Berlin (1924) ein, der mit seiner Zentrierung und im Zusammenspiel der Drehknöpfe mit der Anordnung der Röhren eine formale Systematik besitzt.
Das Radiodesign nahm in seinen ersten Jahrzehnten naheliegenderweise Anleihen an die Architektur. Die Stege lassen an die Bögen der Kathedrale und ihre Rosetten denken, andererseits bestehen Bezüge zur zeitgenössischen Wolkenkratzer-Architektur. Im Sprachgebrauch kommen zudem Assoziationen an Schlittschuhe und Sarkophage auf. Eine wichtige Inspirationsquelle ist in den 1930er-Jahren der Art Déco-Stil. Geradezu ein Quantensprung ist die Entwicklung von Kunststoff seit dem frühen 20. Jahrhundert. Gegenüber dem Holz hatte dieser den Vorteil, dass die Hitze der Röhren nun nicht mehr auf das Gehäuse überspringen konnte. Und ein weiterer Aspekt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind die politischen und sozialen Dimensionen des Radios etwa mit dem „Volksempfänger“: Einzelne Gerätetypen mussten erschwinglich sein.
Die Parallelität von Luxus und Alltagsgegenstand, Einzelstück und Serienproduktion kennzeichnet den zweiten Teil der Ausstellung, in dem – weiterhin in chronologischer Abfolge – die Gegenwart näher rückt und damit sich nun auch (nostalgische) Erinnerungen einstellen. Die Wirtschaftswunderjahre fördern in Deutschland den Radio-Boom. Die Firma Braun hat mit Hans Gugelot und Dieter Rams zwei herausragende Designer, die über viele Jahre das Erscheinungsbild überhaupt von elektronischen Geräten im Hausgebrauch prägen. Design wird wie die Mode zum Ausdruck für ihre Zeit. Zudem wird das Radio jetzt zum Möbelstück, eingebettet in ein Ensemble mit dem Schallplattenspieler und dem Tonband und vielleicht dem Fernseher: Auch das passende wohnliche Ambiente dazu ist im MAKK zu sehen und sogar originalgetreu rekonstruiert.
Im Laufe der Jahrzehnte wird das Radio kleiner, handlich, tragbar und verliert aus der zunehmenden Selbstverständlichkeit heraus an Beachtung in unserer technologischen Wohlstandsgesellschaft. Aber es ist da, und es gibt seine Designer, auch wenn die Geräte nun etwa Smartphones sind und es über das Internet gehört werden kann. Die Wichtigkeit und damit Präsenz des Radios inmitten der Gesellschaft bleibt gegeben. Auch das ist eine Erkenntnis dieser Ausstellung, die alles richtig gemacht hat.
„RADIO Zeit. Röhrengeräte, Design-Ikonen, Internetradio“ | bis 5.6. | Museum für Angewandte Kunst | 0221 22 12 38 60
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