Anstatt zum großen Jahresrückblick anzusetzen, habe ich noch einmal meinen Vorspann vom Januar 2020 gelesen. Als ich ganz unbefangen einfach bloß über den Film und das Kino geschrieben hatte. Über die Vielfalt der Filmwelt, die von allem und von jedem erzählt. Darüber, dass auf unseren wunderbaren Leinwänden jederzeit alles passieren kann. Wie im echten Leben eben. Und dann ist eben dort etwas passiert und hängt wie eine dunkle Wolke über uns. Man ist müde davon, wir werden es nicht los. Ich war kurz davor, eine aktualisierte Fassung des Vorspanns von damals für diese Ausgabe einzureichen. Als Zitat aus einer anderen Zeit. Weil er so unschuldig wirkt. So heil. So unbelastet. So unbefangen. So hoffnungsvoll.
Stattdessen Folgendes: Zwei Jahre sind vergangen, und die Welt ist eine andere. Viele haben das Vertrauen verloren in ihr Gegenüber, in die Politik. Eine Politik, die sich seit Jahrzehnten vornehmlich der Wohlstandspflege verpflichtet sieht und zunehmend unverfänglich agiert, muss überfordert sein in der Krise. Armin Laschet, Prediger des „Eigentlich“, war ein Meister der Unverfänglichkeit. Dass man ihn zum Kanzlerkandidaten gekürt hat, spricht Bände. Absurder sind nur noch die Spahns und Lindners, die den gleichen Mumpitz reden, zudem aber so irrwitzig staatsmännisch auftreten. Was das mit Kino zu tun hat? Nun, zum einen ist dieser Führungsstab der heilen Welt filmreif. Zum anderen und vor allem: Unsere Kinos ächzen darunter. Eigentlich ist das Wort „eigentlich“ das Unwort des Jahres. Eigentlich gehört die Illusion ins Kino. Stattdessen erweist sich unsere heile Welt als Illusion.
Und mit Illusion meinen wir natürlich nicht, dass in unseren Volksvertretern Echsenwesen stecken. So etwas kann man ja nur da ernst nehmen, wo es hingehört – im Kino beispielsweise. Echsenmenschen und eine Madonna, die Kinderblut verköstigt, das ist eine formidable Steilvorlage für den Kreativstab von „Iron Sky“. Stattdessen aber zieht die Illusion ein in unser Leben. Man unterscheidet nicht mehr zwischen Fakt und Fiktion, weil Fake und Fakt nur noch schwerlich zu unterscheiden sind. Fake gehört ins Kino, nicht in die Nachrichten. Und zum Glück wird auch in diesem Kino-Januar nicht nur, aber viel gefaket. Mit Fakeblut in „Scream 5“. In „Lamb“, wo ein Phantasiewesen ganz menschliche Konflikte reflektiert. Oder Fake wird selbst zum Thema in der Doku „The Lost Leonardo“, die darstellt, inwiefern nicht nur das Wort, sondern auch das Bild fake sein kann. Wenn wir die Fakerei im Kino belassen, kommen wir draußen vielleicht mal voran. Bis dahin können wir aber auch schon jetzt einfach mal wieder ins Kino gehen, wo man sich unserem Leben anmutig und bereichernd über Erdachtes annähert, statt draußen unser Leben mit Erdachtem zu erschweren.
Guten Rutsch, und ab ins Kino!
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