Das war ein filmreifer Twist mit Happy End: Nachdem bei der Oscar-Verleihung Ende Februar der Gewinner der Trophäe für den besten Film verlesen wurde und sich bereits das komplette Team von „La La Land“ für die Dankesrede auf der Bühne versammelt hatte, wurde der Akt jäh unterbrochen, weil aus Versehen der falsche Umschlag geöffnet wurde. Nicht „La La Land“, sondern „Moonlight“ hatte gewonnen. Wie dann das komplett weiße Filmteam von „La La Land“ die Bühne für das komplett schwarze Filmteam von „Moonlight“ räumte, war wohl einer der außergewöhnlichsten Momente in der Geschichte der Oscars. Und der Preis für „Moonlight“ sicherlich die bessere Entscheidung – filmisch wie politisch. Zehn Tage zuvor ging es auf der Preisverleihung der Berlinale nicht ganz so dramatisch zu. Aber auch hier hatte ein Favorit – Aki Kaurismäkis „Die andere Seite der Hoffnung“ – nicht den Hauptpreis erhalten. Und auch das war richtig so. Denn der Gewinner des Goldenen Bären – „On Body and Soul“ von der ungarischen Filmemacherin Ildikó Enyedi war nicht nur außergewöhnliches, berührendes Kino. Er war auch ein Außenseiter auf dem Festival, während Kaurismäki in die Kategorie Altmeister gehört. Wie er sein Flüchtlingsdrama, unser Film des Monats April, mit stilisierter Ökonomie und klarer Moral erzählt, ist beeindruckend souverän. Enyedis ungewöhnliche Liebesgeschichte ist nicht minder beeindruckend, sorgte aber für die größere Überraschung. Es ist auch eine Art Politik, dem kleinen Außenseiterfilm den Vorzug zu geben.
Vor einiger Zeit lauschte ich verwundert dem Ärger eines Kollegen über unpopuläre, also am Publikumsgeschmack vorbei gefällte Preisentscheidungen auf Festivals. Aber wo sonst sollte man ungewöhnliche, schwer vermarktbare Filme würdigen, ihnen Anerkennung und Aufmerksamkeit bescheren, wenn nicht in dem ökonomischen Freiraum, den ein Festival bietet. Enyedis Film wurde Dank des Goldenen Bären weltweit verkauft und wird auch in Deutschland ins Kino kommen. „Die andere Seite der Hoffnung“ wäre hier ohnehin gestartet.
Über das Thema „Film und Politik – in hochpolitischen Zeiten“ wurde auf einem Symposium des Filmbüro NW Mitte März in Köln gesprochen. Ein Ergebnis der Gespräche war, dass die spannenderen Filme oft nicht konkret politisch sind und nicht offen agitieren, damit aber eine viel größere Wirkung erzielen, weil sie nicht nur „preaching to the converted“ betreiben. Um noch mal auf „Moonlight“, unseren Film des Monats im März, zurückzukommen: Ja, es war sicher nicht nur, aber auch eine politische Entscheidung, einen kleinen, sensiblen Film über einen schwulen Drogendealer einem großen, konservativem Musical vorzuziehen. Schließlich ist alles, was man tut und nicht tut, im weiteren Sinn eine politische, weil gesellschaftlich relevante Handlung. Auch ein Film muss nicht politische Themen verhandeln, um politisch zu sein. Entscheidend ist die Haltung, die hinter einem Film zu erkennen ist.
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