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Alexandra Senfft, Oliver von Wrochem
Foto: Katja Sindemann

Gespenster der Vergangenheit

28. Oktober 2016

Über den Umgang mit NS-Tätern in der eigenen Familie – Literatur 11/16

Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und die Auseinandersetzung mit daraus resultierender Schuld und Scham ist im öffentlichen Raum inzwischen stark präsent, sind sich Psychotherapeut Peter Pogany-Wnendt, Autorin Alexandra Senfft und Historiker Oliver von Wrochem einig. In den Familien wurde jedoch bis vor kurzem über die Nazi-Vergangenheit der Eltern bzw. Großeltern geschwiegen. Daher veranstaltete PAKH, Arbeitskreis für Intergenerationelle Folgen des Holocaust, am Mittwoch im EL-DE-Haus eine Diskussion über die Nachwirkungen von NS-Täterschaft auf Kinder- und Enkelgeneration.

Die Journalistin Alexandra Senfft hatte 2007 das heiße Eisen in ihrem Buch „Schweigen tut weh“ angepackt: Ihr Großvater Hanns Ludin war NS-Gesandter in der Slowakei und verantwortlich für die Deportation dortiger Juden. Das Öffentlichmachen ihrer Familienhistorie führt bis heute zu Streit in der Verwandtschaft: „We agree to disagree.“ Gleichzeitig erhielt sie den Deutschen Biographie-Preis. Nun hat Senfft in ihrem neuen Buch „Der lange Schatten der Täter: Nachkommen stellen sich ihrer NS-Fami­liengeschichte“ Gespräche mit Menschen aufgezeichnet, die die Vergangenheit ihrer Vorfahren recherchieren und sich mit deren Taten auseinandersetzen. Gegenüber choices erzählt sie: „Die Protagonisten habe ich bei meiner Arbeit kennengelernt. Einige entwickelten Abwehr, so dass sie ausschieden. Die meisten waren jedoch bereit, sich dem Thema zu stellen.“

Peter Pogany-Wnendt, PAKH-Leiter und selbst Kind geflohener ungarischer Juden, beschäftigt sich als Psychotherapeut mit den transgenerationellen Folgen der Shoa. Er konstatiert, dass Opfer schwiegen, um ihre Kinder zu schützen, während Täter schwiegen, um sich ihrer Schuld nicht zu stellen. Das Schweigen laste jedoch schwer auf den Nachkommen. Gewalt und Destruktivität wirken unbewusst fort. „Jetzt setzen sich Nachfahren damit auseinander“, so Pogany-Wnendt. „Das war vor wenigen Jahren noch undenkbar.“

Historiker Oliver von Wrochem leitet die KZ-Gedenkstätte Neuengamme bei Hamburg, in deren Seminaren Teilnehmer sich mit ihrer Familiengeschichte befassen. Er stellt fest: „Die kritische Annäherung wird nicht von allen geteilt. Manche setzen die NS-Ideologie fort.“ choices erklärt er: „Die Symbolik wird tradiert. Manche hängen Hakenkreuze an den Weihnachtsbaum oder bewahren den SS-Degen ihres Großvaters auf.“ Er hat das Buch „Nationalsozialistische Täterschaften: Nachwirkungen in Gesellschaft und Familie“ herausgegeben, das sowohl den aktuellen Stand der Forschung als auch Interviews mit Nazi-Enkeln enthält. Von Wrochem kenne keinen Fall, in dem ein Täter Bedauern geäußert habe. Das Schweigen der Nachkommen erklärt er so: „Sie haben Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung, beruflichen Nachteilen oder dem Kontakt mit Opfernachkommen. Diese rechnen es jedoch hoch an, wenn jemand ehrlich und transparent mit seiner Geschichte umgeht.“

Nach den Lesungen fand eine Diskussion unter Einbeziehung des Publikums statt. Hierbei wurde der Unterschied zwischen Schuld und Scham thematisiert: Obwohl Täter-Nachkommen de facto schuldlos sind, empfinden viele Scham über die Verbrechen. Ein Redebeitrag empfahl, die Scham anzunehmen und in Wiedergutmachung umzuwandeln. Auch der Bezug zu heutigem Rassismus und Rechtsradikalismus wurde hergestellt. Von Wrochem verwies darauf, dass es NS-Opfergruppen wie Asoziale, Kriminelle oder Euthanasietote gäbe, über die bis heute geschwiegen wird. Senfft erklärte abschließend: „Die Kunst besteht darin, zwischen der Schuld von Vorfahren und der Liebe zu ihnen zu unterscheiden, beides auszuhalten und zu integrieren.“

Info:
Alexandra Senfft: Der lange Schatten der Täter. Nachkommen stellen sich ihrer NS-Familiengeschichte  | Piper
Oliver von Wrochem (Hg.): Nationalsozialistische Täterschaften: Nachwirkungen in Gesellschaft und Familie (Reihe Neuengammer Kolloquien) | Metropol-Verlag

Katja Sindemann

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