In die Ecke, Besen! Besen! Seid’s gewesen. Denn als Geister ruft euch nur, zu seinem Zwecke, erst hervor der alte Meister. Der alte Goethe hätte sein Spaß im digitalen Zeitalter, die Besen, die von seinem Zauberlehrling einst gerufen, fegen heute immer weiter, reinigen unaufhörlich die Welt von jedem Geheimnis. Der Lehrling ist längst selber Meister, seine globale Werkstatt heißt heute NSA und es gibt niemanden mehr, der ihn aufhalten könnte – von einer globalen EMP-Bombe mal abgesehen.
Zwölf Künstler zeigen in der Düsseldorfer Kunsthalle im Rahmen der Quadriennale ihren mahnenden Finger, doch irgendwie sind ihre Arbeiten selbst Partizipation der weltumspannenden Problematik eines Netzwerkes, dessen eigentliches Ziel die endgültige Kontrolle der Menschheit selbst ist. Der Industriekapitalismus hat sich längst zum digitalen Kapitalismus entwickelt. Das änderte schon im vergangenen Jahrtausend die Lage, und macht sie auch heute nicht besser. „Smart New World“ heißt die Schau, die sich mit der Informationsgesellschaft im Zeitalter des Internets auseinandersetzen will. Wer dabei gleich an Aldous Huxley denkt, liegt natürlich richtig, doch wenn bereits 1932 die schöne neue Welt ihre Tücken hatte, warum muss man 82 Jahre später immer noch ins abgegriffene Horn pusten?
Nach einem mehrdeutigen rituellen Eintrittsprocedere, das die semifiktive International Necronautical Society (INS), 1999 vom Romanautor Tom McCarthy gegründet, entwickelt hat, geht es hinauf in die Hallen voller Technik. Hier nutzen die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler diese nicht nur als Inspiration für ihre Bildwelten, sondern reflektieren vor allem deren kulturelle, gesellschaftliche und politische Dimension. Old School wie immer der Spanier Santiago Sierra, der US-Kriegsveteranen im Video in einer Ecke stehen lässt, mit dem Gesicht zur Wand versteht sich. Das Bild versteht jeder, aber es musste halt noch einmal gezeigt werden. Den Ausstellungsraum beherrscht allerdings Simon Dennys „Analogue Broadcasting Hardware“: Der Neuseeländer feiert die ollen Fernseher einer vergangenen TV-Ära, indem er sie zerquetscht und damit ihre analogen Daten komprimiert. Ein Denkmal des Vergangenen soll das sein, das aber die digitale Zukunft einst einleitete – durch Komprimierung. Überhaupt scheint der Bildschirm das wichtigste Medium in dieser Ausstellung zu sein, viele Videos animieren zum Verweilen, zum Nachdenken über Drohnen (Omer Fast „5000 Feet is the Best“, 2011) oder Realität und Identität in der globalisierten Welt (Christoph Faulhaber „Jedes Bild ist ein leeres Bild“, 2014).
Radikal dagegen Kenneth Goldsmith unter dem Dach der Kunsthalle. Er druckt in „Papers from Philosophical Transactions of the Royal Society“ (2014) das Internet aus. Fünf Drucker stehen und 233.000 Blatt Papier liegen da, so weit ist er schon gekommen; damit nimmt der Amerikaner das utopische Potenzial ernst und engagiert sich für Informationsfreiheit und Bildungsgleichheit, indem er privatisierte Informationen zu einem öffentlichen Gut erklärt. Gleichzeitig macht er auf die schier unerschöpfliche digitale Datenflut aufmerksam, der kein Mensch jemals Herr werden kann. Auch das kann man haptisch kaum missverstehen.
„Smart New World“ | bis 10.8. | Kunsthalle Düsseldorf | 0211 899 62 43
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