Paul Thomas Anderson kehrt mit „Licorice Pizza“ (Cinedom, Cinenova, Cineplex, Rex am Ring, OmU im OFF Broadway und in den Lichtspielen Kalk, OV im Cineplex) ins San Fernando Valley in L.A. zurück. Hier hat er seine frühen Filme „Boogie Nights“, „Magnolia“ und „Punch-Drunk Love“ gedreht, hier ist er selber aufgewachsen. Auch wenn er im Jahr 1973, in dem der Film angesiedelt ist, selber erst 3 Jahre alt war, durchkreuzen den Film viele biografische und autobiografische Momente. Gary Valentine ist süße 15 Jahre alt, verhält sich aber wie ein weltgewandter Gentleman. Das bekommt vor allem die zehn Jahre ältere Alana Kane zu spüren, in die sich Gary bei ihrem ersten Treffen während der Porträtaufnahmen für das Jahrbuch seiner Schule verguckt. Dies ist der Beginn einer längeren Freundschaft mit Aufs und Abs, aber der Altersunterschied scheint vor allem für Alana ein Problem zu sein. Ein Sittenbild ist Paul Thomas Andersons neuer Film geworden. Angesiedelt ist er allerdings am Ende statt auf dem Höhepunkt einer Ära: Die Hoffnungen der Blumenkinder auf eine andere Gesellschaft sind längst begraben. Eine neue Generation, die dann wieder versuchen wird, alles anders als die Alten zu machen, ist noch nicht in Sicht. Gute Vorbilder sind Mangelware. Woran soll man sich als junger Mensch also orientieren? Die Suche, die auf ganz natürliche Art ein Umherirren, Stolpern, Schlingern, Abstoppen, aber auch ein Losstürmen, dann wieder ein Kreisen oder ein vorsichtiges Herantasten ist, schildert „Licorice Pizza“ im sommerlichen L.A. auf ganz wunderbar leichte, scheinbar naive Art, die ganz dem Charakter der von Cooper Hoffmann entwaffnend erfrischend gespielten Hauptfigur entspricht. Anderson schließt hier einen denkwürdigen Kreis, denn Hoffmans Vater ist der 2014 mit erst 47 Jahren verstorbene Philip Seymour Hoffman, Aber auch die 30-jährige Alana Haim steht hier neben gestandenen Stars wie Sean Penn, Bradley Cooper oder auch Tom Waits das erste Mal für einen Kinofilm vor der Kamera. Mit ihren beiden Schwestern, die zusammen mit ihren Eltern auch ihre Film-Familie spielen, macht sie im echten Leben Musik mit der Band Haim. Dass die vielen Geschichten in „Licorice Pizza“ – Anekdoten mit realem Hintergrund, Anspielungen, Verweise – das Publikum so kurzweilig in die Euphorie und mitunter auch Ernüchterung einer Jugend eintauchen lassen, ist Andersons inszenatorischer Leistung zu verdanken.
Xueming (Eddie Peng) passt für einen kurzen Moment nicht auf und überfährt des Nachts einen Mann. Der junge Installateur begeht Fahrerflucht. Wenig später begegnet er Mrs. Liang (Sylvia Chang), der Witwe des Toten. Geplagt von Schuldgefühlen sucht er fortan die Nähe der Frau. Während der zuständige Kommissar den Fall zu klären versucht, erweist sich manches anders als vermutet: Das Opfer war in kriminelle Machenschaften verstrickt. Der chinesische Regisseur Wen Shipei studierte an der Columbia Universität Regie und Drehbuch. „Are You Lonesome Tonight?“ (OmU in der Filmpalette) ist sein Langfilmdebüt, und das kann sich sehen lassen: Farbdurchtränkt und anmutig montiert gelingt Wen Shipei ein atmosphärisch aufgeladenes, sinnliches Neo-Noir-Drama, das spannungsreich in einen Thriller ausläuft. Ungewöhnlich hypnotisch.
Außerdem neu in den Kinos: Hauke Wendlers Stuhl-Geschichte „Monobloc“ (Filmhaus, im Rahmen des „Stranger than Fiction“-Festivals), Benjamin Martins' biografisches Weltkriegs-Drama „Schattenstunde“ (Bonner Kinemathek) und Antonia Kilians Doku „The Other Side of the River - No Women, No Revolution“ (OmU im Odeon, am Mittwoch, 2.2. um 20 Uhr mit der Regisseurin).
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Es bleibt in der Familie
Die Filmstarts der Woche
Das Leben in seinen Facetten
Wolfgang Tillmans in Remscheid – Kunst in NRW 09/25
Eine sympathische Bruderkomödie
„Ganzer halber Bruder“ im Cinedom – Foyer 09/25
Morpheus Erbarmen
Sebastian Fritzsch in der Temporary Gallery – Kunst 09/25
Schreib dich frei!
„Botin“ in der Alten Versteigerungshalle auf dem Großmarkt – Theater am Rhein 09/25
Die Poesie der Sehnsucht
Young Rebel Set im Gebäude 9 – Musik 09/25
Keine Angst vor Gewittern
„Donnerfee und Blitzfee“ von Han Kang – Vorlesung 09/25
Verantwortlichkeit!
Das Jerusalem Quartet in Köln und Bonn – Klassik am Rhein 09/25
„Die Drogenszene wird sich nicht auflösen“
Jane van Well vom Sozialdienst Katholischer Männer über die Debatte um die offene Drogenszene vor der Kölner Kommunalwahl – Gleich Nebenan 09/25
Wo Grenzen verschwinden und Geister sprechen
Das Afrika Film Festival Köln 2025 – Festival 09/25
Aus den Regionen
Teil 1: Lokale Initiativen – Das WDR-Landesstudio Köln
„Es ist vertraut, aber dennoch spannend“
Schauspielerin Barbara Auer über „Miroirs No. 3“ – Roter Teppich 09/25
Der Vogelschiss der Stammesgeschichte
Wenn Menschenrechte gleich Lügenpresse sind – Glosse
Vater des Ethiojazz
Mulatu Astatke im Konzerthaus Dortmund – Improvisierte Musik in NRW 09/25
Zusammenprall der Extreme
„Der Goldene Drache“ von Peter Eötvös am Theater Hagen – Oper in NRW 09/25
„Die Sender sind immer politisch beeinflusst“
Teil 1: Interview – Medienforscher Christoph Classen über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Nicht alles glauben!
Wahlkampf NRW: Kampagne der Landesanstalt für Medien NRW – Spezial 09/25
Nicht mit Rechten reden
Der „cordon sanitaire médiatique“ gibt rechten Parteien keine Bühne – Europa-Vorbild Wallonien
Roman eines Nachgeborenen
„Buch der Gesichter“ von Marko Dinić – Literatur 09/25
Wissen in Bewegung
Das Sachbuch „Die Philosophie des Tanzens“ – Tanz in NRW 09/25
Süß und bitter ist das Erwachsenwerden
„Fliegender Wechsel“ von Barbara Trapido – Textwelten 09/25
Ohne Grenzen
74. Ausgabe der Konzertreihe Soundtrips NRW – Musik 09/25
„Was kann eine neue Männlichkeit sein?“
Nicola Schubert über ihr Stück „To #allmen“ an Groß St. Martin – Premiere 09/25
Teuer errungen
Teil 1: Leitartikel – Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss bleiben – und besser werden
Weinende Wände
Das Filmtheater als Begegnungs- und Spielstätte – Vorspann 09/25