Die Filme von Bertrand Bonello unterlaufen oft die Erwartungshaltungen. Der Thriller „Nocturama“ von 2016 bietet nur wenig Action, und „Zombi Child“ von 2019 ist alles andere als ein klassischer Zombie-Film. Und so ist auch „The Beast“ (OmU in der Filmpalette und im Odeon) mit dem Genre Science-Fiction kaum zu fassen. Bonello baut seine Filme eher um Begriffe, Themen und andere Inspirationsquellen auf. So verpflichtet sich auch seine Adaption von Henry James’ Novelle „The Beast in the Jungle“ aus dem Jahr 1903 nur vage der Vorlage und nimmt sie vielmehr als Basis für weitere Gedankenspiele. Die Novelle scheint über 100 Jahre nach ihrer Entstehung dafür wie geschaffen und den Zeitgeist gut zu treffen. In den letzten Jahren erschienen mehrere Verfilmungen der rund 80-seitigen Geschichte, die von einem Mann handelt, der sich vor einem unbestimmten dramatischen Schicksal fürchtet. In dieser Vorahnung verharrend, zieht das echte Leben an ihm vorüber. Bertrand Bonella verwandelt die männliche Hauptfigur in seine Heldin Gabrielle, die im Paris des Jahres 2044 lebt. Durch den rasanten Fortschritt im Bereich der Künstlichen Intelligenz ist das Leben ruhiger und vernünftiger geworden. Das liegt vor allem daran, dass die KI ohne menschliche Gefühle und Affekte wesentlich ökonomischer und zuverlässiger – so die allgemeine Ansicht – handeln kann. Als Nebeneffekt liegt die Arbeitslosigkeit unter den Menschen bei über 60 Prozent. Gabrielle hat starke Gefühle, vor allem abstrakte Gefühle der Angst. Um weiterhin gut zu funktionieren, schlägt man ihr eine Reinigung ihrer DNA vor. Während dieses Reinigungsprozesses durchlebt sie vergangene Ereignisse erneut. Gabrielle reist bei ihrer ersten Sitzung ins Paris des Jahres 1910, wo sie als erfolgreiche Pianistin mit einem Puppenfabrikanten verheiratet ist. Auf einem Fest trifft sie auf Louis, der eine magische Anziehung auf sie ausübt, als wäre er ein Seelenverwandter. Bei der zweiten Sitzung ist Gabrielle angehende Schauspielerin und Model im Los Angeles von 2014, die bislang ihr Einkommen durch Homesitting in großen Villen sichert. Auch hier trifft sie auf Louis. Schließlich kommt ihr Louis auch im Jahr 2044 in einem der langen Gänge des Gebäudes entgegen, in dem ihr Reinigungsprozess vollzogen wird. Macht er Ähnliches durch? Léa Seydoux spiegelt als Giselle das überwältigende, aber unerfüllte Begehren mit einer Präsenz, die die Leinwand zum Vibrieren bringt. Sie trägt den Film von der ersten bis zur letzten Einstellung. „The Beast“ behandelt eine Zukunft, die durch Technologie Einsamkeit produziert und zugleich versucht, diese Einsamkeit technisch zu überwinden.
Schon mit drei Jahren stand die 1950 geborene Googoosh zum ersten Mal auf der Bühne. Mit 20 sang sie iranische Popsongs und schenkte einer ganzen Generation ein befreites Lebensgefühl. Doch dann kamen: die iranische Revolution, die Kopftücher, das Verbot von nicht-islamischer Musik. Auftrittsverbot, Reiseverbot, schließlich Exil. Dann: die Wiederauferstehung als Künstlerin, Trauer über ein verlorenes Land. Und Sehnsucht. Regisseurin Niloufar Taghizadeh, im Iran geboren und seit 1996 in Deutschland lebend, gehört zu den jungen Iranerinnen, die die befreiten Frauen von früher als Vorbilder für ihr Engagement entdecken. Googoosh gibt ihr in „Googoosh – Made of Fire“ (OmU im Odeon) ein bewegendes Interview; das Archivmaterial mit Bühnenauftritten und historischen Ereignissen verwebt das Leben von Googoosh mit dem Schicksal ihres Landes.
Im dritten Teil seiner Trilogie über Familienverhältnisse lässt der Schweizer Ramon Zürcher zwei sehr unterschiedliche Schwestern und ihre Familien bei einem Fest aufeinanderprallen. Anfängliche Neckereien werden langsam zum unverhohlenen Schlagabtausch, bis es schließlich sogar zu tätlichen Übergriffen kommt. Tiefsitzende Traumata brechen heraus, lange gehütete Geheimnisse kommen ans Licht und alles Unausgesprochene verdichtet sich zu einem zunehmend ins Surreale driftenden Finale. Nach den leiseren Filmen „Das merkwürdige Kätzchen“ und „Das Mädchen und die Spinne“ geht Zürcher in „Der Spatz im Kamin“ (Filmhaus, Bonner Kinemathek) nun in die Vollen und liefert zwischen großem Schmerz und komischer Groteske ein bildgewaltiges Finale, für das er um die Hauptdarstellerin Maren Eggert einen tollen Cast – inklusive Tierwelt – geschart hat.
Außerdem neu in den Kinos: Javier Espadas Hommage „Buñuel: Filmemacher des Surrealismus“ (Filmhaus), Joshus Margolins Rachekomödie „Thelma – Rache war nie süßer“ (Cinedom, UCI), The Chau Ngos Romanadaption „Der Buchspazierer“ (Cinedom, Cinenova, Cineplex, Residenz, Rex, UCI) Josh Cooles animierter Actioner „Transformers One“ (Cinedom, Cineplex, UCI) und Ian Bonhôtes und Peter Ettedgus mitreißende DC-Doku „Super/Man: The Christopher Reeve Story“ (Cinenova). Dazu startet für Kinder Christopher Jenkins' „Alles für die Katz - Neun Leben sind nicht genug“ (Cinedom, UCI).
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Die Poesie der Sehnsucht
Young Rebel Set im Gebäude 9 – Musik 09/25
Der Medien-Macher
Die Filmstarts der Woche
Keine Angst vor Gewittern
„Donnerfee und Blitzfee“ von Han Kang – Vorlesung 09/25
Verantwortlichkeit!
Das Jerusalem Quartet in Köln und Bonn – Klassik am Rhein 09/25
„Die Drogenszene wird sich nicht auflösen“
Jane van Well vom Sozialdienst Katholischer Männer über die Debatte um die offene Drogenszene vor der Kölner Kommunalwahl – Gleich Nebenan 09/25
Wo Grenzen verschwinden und Geister sprechen
Das Afrika Film Festival Köln 2025 – Festival 09/25
Aus den Regionen
Teil 1: Lokale Initiativen – Das WDR-Landesstudio Köln
„Es ist vertraut, aber dennoch spannend“
Schauspielerin Barbara Auer über „Miroirs No. 3“ – Roter Teppich 09/25
Der Vogelschiss der Stammesgeschichte
Wenn Menschenrechte gleich Lügenpresse sind – Glosse
Vater des Ethiojazz
Mulatu Astatke im Konzerthaus Dortmund – Improvisierte Musik in NRW 09/25
Zusammenprall der Extreme
„Der Goldene Drache“ von Peter Eötvös am Theater Hagen – Oper in NRW 09/25
„Die Sender sind immer politisch beeinflusst“
Teil 1: Interview – Medienforscher Christoph Classen über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Nicht alles glauben!
Wahlkampf NRW: Kampagne der Landesanstalt für Medien NRW – Spezial 09/25
Nicht mit Rechten reden
Der „cordon sanitaire médiatique“ gibt rechten Parteien keine Bühne – Europa-Vorbild Wallonien
Roman eines Nachgeborenen
„Buch der Gesichter“ von Marko Dinić – Literatur 09/25
Wissen in Bewegung
Das Sachbuch „Die Philosophie des Tanzens“ – Tanz in NRW 09/25
Süß und bitter ist das Erwachsenwerden
„Fliegender Wechsel“ von Barbara Trapido – Textwelten 09/25
Ohne Grenzen
74. Ausgabe der Konzertreihe Soundtrips NRW – Musik 09/25
„Was kann eine neue Männlichkeit sein?“
Nicola Schubert über ihr Stück „To #allmen“ an Groß St. Martin – Premiere 09/25
Teuer errungen
Teil 1: Leitartikel – Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss bleiben – und besser werden
Weinende Wände
Das Filmtheater als Begegnungs- und Spielstätte – Vorspann 09/25
Glücklich ruinieren
Das Nö Theater mit „Monopoly“ im Kölner Kabarett Klüngelpütz – Auftritt 08/25
Protest gegen Wucher
Online-Gespräch zur Geschichte der Berliner Mietenbewegung – Spezial 08/25
Vom Tanzen träumen
Die NRW-Tour der Jazzpianisten Chris Hopkins und Ulf Johansson Werre – Musik 08/25
„Man darf nicht das falsche Leben leben“
Regisseur und Produzent Stefan Herrmann über „Ich, Samsa“ am Theater der Keller – Premiere 08/25