Sommer 85
Frankreich, Belgien 2020, Laufzeit: 100 Min., FSK 12
Regie: François Ozon
Darsteller: Félix Lefebvre, Benjamin Voisin, Philippine Velge
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Schön ausgestattetes Coming-of-Age-Liebesdrama
Seiner Geschichte entkommen
„Sommer 85“ von François Ozon
Der 16-jährige Alexis lebt seit zwei Jahren in dem Badeort Le Tréport in der Normandie. Seine Mutter ist Hausfrau, sein Vater einfacher Hafenarbeiter. Doch Alexis Lehrer ermutigt ihn, das Abitur zu machen und nimmt ihn wegen seiner vielversprechenden Schreibversuche in den Literaturzweig der Schule auf. Als er in den Sommerferien mit dem Boot rausfährt, kentert er bei einem Gewitter. Der zwei Jahre ältere und sehr selbstbewusste David, Schulabgänger und mit seiner Mutter Besitzer eines Geschäfts für Segelzubehör, rettet ihn, und die beiden werden nicht nur Freunde, sondern auch ein heimliches Liebespaar. Davids Mutter ist begeistert, denkt sie doch, ihr Sohn hätte ein Jahr nach dem Tod seines Vaters nur einen guten Freund gefunden. Die beiden Jungs erleben hingegen einen Sommer voller Leidenschaft und Entdeckungen, der sich für sie perfekt anfühlt. Zumindest bis der umtriebige und weniger romantisch veranlagte David aus Langeweile mit einem Mädchen fremd geht. Als Alexis das herausfindet, haben die beiden einen Streit, der schließlich in einem Drama eskaliert.
Mit dem Ende der Geschichte beginnt der Film. Man spoilert nichts, wenn man schreibt, dass David am Ende tot ist. Alexis, der als Erzähler der Handlung auftritt, sagt es gleich zu Beginn des Films den Zuschauern: David ist eine zukünftige Leiche, und wem das nicht gefalle, der solle gehen. Alexis erzählt auch, dass er schließlich auf Davids Grab tanzen wird. Das bringt ihm eine Verhaftung ein. Um seine Tat zu erklären und das Strafmaß zu mindern, schreibt er nun auf, wie es dazu kam.
Ozon verfilmt mit „Sommer 85“ den Roman „Dance on my Grave“ von Aidan Chambers aus dem Jahr 1982, den er seinerzeit als Jugendlicher mit großer Begeisterung gelesen hat. In seiner Verfilmung, die uns mittels Mode und Musik (Score von Jean-Benoît Dunckel von Air, Songs von The Cure, Lloyd Cole, Raf, Rod Stewart u.a.) gekonnt in die Zeit der 80er Jahre entführt, fühlt man sich schon in den ersten Szenen gleichermaßen an Eric Rohmers Filme „Pauline am Strand“ (1982) und „Sommer“ (1996) und der jugendlichen Liebe, von der die Filme leichthändig erzählen, erinnert. Und natürlich denkt man auch gleich an den Arthaus-Hit „Call me by your Name“ von Luca Guadagnino, der nicht nur das Coming of Age-Thema, sondern auch das Thema der ersten schwulen Liebe mit „Sommer ‘85“ teilt und ebenfalls in den frühen 80er Jahren angesiedelt ist. Ozon platziert seinen Film zwischen der eher formellen, philosophischen Betrachtung bei Rohmer und der sehr emotionalen, delegischen Inszenierung bei Guadagnino. Beides fügt sich bei ihm organisch ineinander. Wenn David das erste Mal wie der sprichwörtliche Ritter bzw. Retter auf seinem weissen Pferd – hier ein weisses Segelboot – erscheint, dann hat das ganz kurz eine überhöhte Anmutung, wie man sie von Ozons Ausflügen in die Camp-Ästhetik kennt. Der Zuschauer kann die Szene aber auch genau so gut als Realismus wahrnehmen. Auf diesem dünnen Grat wandert der gesamte Film und spiegelt damit zugleich die jugendlich verklärte Wahrnehmung der ersten Liebe, die kurz darauf aber wieder genau so leicht relativiert werden kann. Auf die tröstenden Worte einer Freundin, Alexis hätte die Liebe zu David in einer Projektion überhöht, antwortet er lapidar: „Wir erfinden den Menschen, den wir lieben? Wie dumm!“. Und kurz darauf ist man selber auch schon wieder ein Anderer. Und das Leben geht ganz anders weiter, denn es geht darum, „seiner Geschichte zu entkommen“...
(Christian Meyer-Pröpstl)
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