Menschen im Nebel, eine eingefrorene Schaukel, trennende Plexiglaswände – die Figuren in Nuran David Calis neuem Stück „Exil“ sind in einer verstörenden Atmosphäre der Ungewissheit und Distanz gefangen (Bühne: Anne Ehrlich). Der junge ukrainische Schauspieler Oleksii Dorychevskyi erzählt von seiner Emigrationsodyssee mit Frau und Kind nach Deutschland, von quälender Selbstbefragung, Fluchtentscheidungen und deutscher Überheblichkeit. Seine Frau Alina ergänzt via Video seine Ausführungen. Beides wird flankiert mit antiken Texten zum Thema Krieg. „Exil“ scheint zunächst ganz auf den aktuellen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland fokussiert. Dann allerdings erweitert sich die Dramaturgie des Abends. Das Schicksal ukrainischer Flüchtlinge wird mit dem syrischer, iranischer oder burundischer verglichen, die sich inzwischen in Deutschland aufhalten.
Es geht um Heimatverlust, abenteuerliche Fluchtrouten, absurde Befragungen hierzulande. Mit viel Emphase inszeniert Calis seine Kritik an der Ungleichbehandlung der Flüchtlinge – wobei er selbst neben den deutschen Schauspieler:innen Kristin Steffen, Stefko Hanushevsky, Ismail Denizund Michaela Steiger auch „nur“ den Ukrainer Oleksii Dorychevskyi einsetzt, alle anderen sind ins Videobild gebannt. Der Abend hat eine stark aktivistische Tendenz, die alle Figuren auf das emotionale und faktische Fluchterlebnis reduziert. Der Abstraktionsgrad, dem die individuelle Erfahrung damit unterworfen wird, ist enorm. Doch am Ende gibt das Live-Interview mit einem ugandischen Flüchtling auf Samos der Mixtur von „Terror und Traum“, der die Flucht durchzieht, ein individuelles Gesicht.
Exil | 10., 14.2. jeweils 20 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 221 284 00
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