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Die Sopranistin Dame Emmy Kirkby
Foto: Hanna Chlala

„Singen ist eine lebensfrohe Angelegenheit“

07. März 2018

Dame Emma Kirkby zu Gast beim Fest für Alte Musik – Interview 03/18

** ENGLISH TEXT HERE **

Die legendäre englische Sopranistin Dame Emma Kirkby ist zum dritten Mal beim Kölner Fest für Alte Musik zu Gast. Mit ihrer schönen Stimme und ihrer tiefen Kenntnis Alter Musik nimmt sie an der szenischen Aufführung von „Cupid and Death“ (1653) teil, einer englischen Masque, oder frühen Form der Oper, aus dem frühen Barock mit Musik von Matthew Locke and Christopher Gibbons (10.3.), und singt mit Kolleginnen und Chor die „Musikalischen Exequien“ von Heinrich Schütz (17.3.), ein bedeutendes geistliches Chorwerk aus dem Dreißigjährigen Krieg.

choices: Frau Kirkby, wie kommen Sie zur Zeit der ganzen Viren klar?
Dame Emma Kirkby:
Davon weiß ich ja gar nichts.

Wir haben eine Grippewelle in Deutschland.
Oh, wirklich? Es gibt eigentlich immer irgendwelche Grippewellen. Bisher hat es mich nicht erwischt.

Sie müssen natürlich besonders vorsichtig sein, oder?
Ja schon, ich nehme regelmäßig Echinacea ein.

Was können wir von dem Maskenspiel „Cupid and Death“ erwarten?
Komik, Tragik, Farbe, Klang, Überraschungen. Es ist eine archetypische Geschichte – sie handelt von Liebe und Tod, die personifiziert sind. Der Tod tanzt die meiste Zeit und ist sehr mächtig. In der Handlung geht natürlich etwas schief and ihre Pfeile werden vertauscht. Wen Amor abschießt, der stirbt, und wen der Tod abschießt, der verliebt und verjüngt sich. Die Welt steht also Kopf. Ich bin Mutter Natur und ziemlich schockiert von all dem: Ich weiß, was Amor und der Tod zu tun haben, und zwar definitiv nicht das! Ich bin erschrocken vom Tod all meiner Kinder, die junge Liebende sein sollten.

Sie interessiert also auch durchaus die Handlung, obwohl Sie ja nicht viel Oper singen?
Oper mache ich zwar nicht, aber es liegt Dramatik in jedem Lied. Ich spreche auf die Geschichte an, die jedes Lied mitteilt. Ich verkörpere also den Liedtext mit meinem ganzen Körper und der Figur. Wenn es erforderlich ist, versuche ich, mich in die Rolle zu begeben. Wenn ich nur irgendejemand bin, der Empfindungen ausrückt, die wir alle fühlen, dann will ich sie nur teilen. Aber auch diese Präsentation ist gewissermaßen eine Pose. Wenn du einen wehmütigen Song singen willst, kannst du nicht dasitzen und sich tatsächlich elend fühlen, sondern das Singen ist eine lebensfrohe Angelegenheit. Also muss man das Schöne an der Art auskosten, wie eine Empfindung ausgedrückt wird.

Wir haben Tragik in diesem Stück – es gibt Tote. Aber es ist eine Pantomime, ein Maskenspiel. Diiese Dinge treffen uns zwar alle, es ist ziemlich rührend, aber sie nicht nicht real. Wir versinnbildlichen sie. Das Wort „masque“ hat zwei Bedeutungen. Einmal dieses Genre, eine Mischung von Wort und Musik. Die andere ist eine Maske, die man sich aufsetzt, um anders auszusehen. Das tut dieses Stück auch. Es sucht sich eine neue Art, Dinge, die uns vertraut sind, zu verbergen – und später zu enthüllen – nämlich Liebe und Tod.

Wird diese Aufführung unter der Regie von Adrian Schvarzstein mit den Aufführungen im 17. Jahrhundert vergleichbar sein?
Also die Instrumente haben wir, so weit es geht. Und damit haben wir die Stimmen, die, wie wir hoffen, den Text herüberbringen, der doch ziemlich komplex ist und eine redeähnliche Vortragsart verlangt sowie eine Ausbalancierung mit den Instrumenten. Darüber hinaus, würde ich sagen, ist der Ansatz modern. Adrian Schvarzstein ist ein sehr einfallsreicher Produzent. Er ist sich über die fundamentalen Wahrheiten und Archetypen im Klaren; was er also macht, basiert auf Material, das noch weiter zurückreicht als das 17. Jahrhundert. Gleichzeitig aktualisiert er es. Wir tragen mehr oder weniger moderne Kleider, glaube ich – ich habe noch nicht alle gesehen – und er nimmt die Geschichte, wie sie in der Originalfassung erzählt wird, mit vielen englischen Worten der Charaktere, die zum Vertauschen der Pfeile führen… Das ist alles sehr Wort-basiert, und es wäre einfach keine gute Idee, das in ein anderes Land mitzunehmen, nicht mal nach Deutschland, wo ihr alle das Englische so toll beherrscht. Das ist aber Englisch aus dem 17. Jahrhundert, da blicken wir selbst nicht immer ganz durch.

Einiges machen wir so klar wie möglich, aber ich denke, Adrian hat sich entschieden, den Fortlauf der Handlung lieber visuell als mit langen Erklärungen zu vermitteln. Es gibt keine Reden – entweder wird es gesungen oder tänzerisch repräsentiert. Er hat auch die Geschichte etwas umgeformt. Da wir ohnehin in einer Kirche sind, lässt er sich zu Beginn für eine Hochzeit hergerichtet sein, aber, oh je, der Priester hat einen Fehler gemacht: Eine Trauerfeier ist zur selben Zeit angesetzt. Da entsteht also etwas Komik, nur dass wir den Leichenzug, wenn er reinkommt, gleichfalls anerkennen müssen – das ist eine zusätzliche Erfindung. Somit sind von Beginn an Liebe und Tod sozusagen miteinander verflochten. Ich beginne als die trauernde Witwe und werde dann zu Mutter Natur. Maria Jones beginnt unterdessen als herrische und inkompetente Organisatorin der Hochzeit und wird zu Amor. Und der Tod ist dann Jūrate Širvyte-Rukštelė, eine fantastische Tänzerin, die zusammen mit Adrian das Ganze auch choreografiert hat. Sie fährt in die Figuren hinein und wieder hinaus und löst etwas aus.

Es ist also, würde ich sagen, eine einzigartige, aber trotzdem wahrhaftige Version. Die Intention des Originals wird nach meiner Ansicht nicht verzerrt.

Wo sie Trauerfeiern erwähnen, Sie werden ja nächste Woche auch Beisetzungsmusik in Form der Musikalischen Exequien von Heinrich Schütz singen.
Um ehrlich zu sein, das Stück kenne ich nicht. Ich liebe Schütz, aber dieses Stück habe ich noch nie gesungen. Glücklicherweise hat Bethany Seymour, die andere Sopranistin hier – und eine sehr gute Sängerin – es mehrfach gesungen. Es wird mich freuen, wenn sie mir, falls nötig, etwas auf die Sprünge hilft. Aber mir gefallen solche Veranstaltungen – das wird ja dann ein reines Konzert sein.

Morgen findet der Internationale Frauentag statt, ist der auch für Musikerinnen von Bedeutung?
Ein interessanter Punkt. Ich glaube für Komponistinnen ja. Für Spielerinnen, glaube ich, dass er heutzutage nicht so viel Bedeutung hat. Ich erinnere mich, wie es in London, als ich Kind war, ein Orchester gab, das nur aus Männern bestand – mal abgesehen von den Harfenistinnen, zumal sie für die Harfen keine Männer finden konnten. Das ist jetzt alles anders. Ein paar Probleme gibt es zwar noch, aber im Ganzen hatten wir im Musikbereich doch viel Glück, und erst recht als Sängerin: Es gibt Tonhöhen, ohne die geht’s nicht. Wenn Männer versuchen wollen, meine Partien zu singen, na schön, ich wünsche viel Erfolg. Manche Stellen haben früher vielleicht ohnehin Kastraten gesungen.

Jedenfalls glaube ich nicht, dass die Diskriminierung von Frauen in der Musik annähernd so ausgeprägt ist wie in anderen Feldern. Es gibt nur das ewige Thema der Bervorzugung junger und schöner Sängerinnen. Ich weiß von einem Orchester, das sich für blinde Anhörproben entschieden hat, und es war sehr interessant, was da herauskam. Einige Leute wären vielleicht ihres Aussehens wegen angenommen worden – diese Gefahr gab es eben beim blinden Vorsingen nicht.

Würden Sie zum Brexit etwas sagen wollen?
Ach was soll man dazu sagen. Schauen Sie--

Für Musiker ist das vielleicht gar kein so großes Problem.
Oh doch. Es ist Besorgnis erregend. Ich habe sogar junge Kollegen, die während der frühen Tage des Referendums erlebten, wie in anderen europäischen Ländern ihre Verträge, die sie für zwei weitere Jahre gültig hielten, aufgehoben wurden oder wo die Produzenten sagten: „Es könnte zu schwierig werden, Sie zu bekommen.“ Ich fürchte, sie werden darunter zu leiden haben. Mit uns Musikern ist es ja so, dass wir die Freiheit haben wollen, zu singen und zu spielen mit wem wir wollen! Gut, ich bin jetzt 69 Jahre alt und weiß nicht, wie lange ich noch herumreise, und ich treffe auch Freunde, die nicht mehr aktiv nach Arbeit suchen – das ist etwas anderes. Aber es ist für alle schwierig. Wir hoffen, dass die Leute, sie auf den Brexit so erpicht sind, Maßnahmen ergreifen, die zumindest ziviliserte Beziehungen zu allen absichern. Wir wissen es nicht. Die meisten von uns verstehen nicht, warum das passiert ist. Es war ein knappes Ergebnis, soviel wissen wir. Es war nur eine Frage, die ohne jede Erklärung gestellt wurde.

Sie leben ja nahe London, oder?
London und der Süden waren größtenteils dagegen. Aber nicht gänzlich, denn das Referendum zeigte Probleme in unserer Gesellschaft auf, keine Frage. Und genau das sind die Dinge, um die wir uns kümmern sollten.

„Cupid and Death“ | R: Adrian Schvarzstein | Sa 10.3. 20 Uhr | Trinitatiskirche
Schütz' Exequien – Motetten aus dem Dreißigjährigen Krieg | Sa 17.3. 20 Uhr | Friedenskirche Ehrenfeld
Kölner Fest für Alte Musik | 10.-25.3. | div. Orte | www.zamus.de | 0221 98 74 73 79

Interview: Jan Schliecker

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