„Die Präsidentinnen“ ist ein Stück, dessen zeitlose Qualität sich in Stadttheatern insbesondere immer nach dem Zuschauen offenbart: „Das nächste Mal suche ich das Stück aus“, war in der Bonner Werkstatt sicher die harmloseste Kommentar einer Dame, deren Innerstes wohl gerade auf der Bühne nach außen gekehrt wurde. Im Angesicht von Vater Rhein stellt sich für viele gerade ja wieder die Sinnfrage, ob der aufrechte Deutsche so einen „Scheißdreck“ (Zitat!) mit seinen Steuern subventionieren sollte. Dabei fressen wir den doch alle freiwillig selber, sei es den aus dem Supermarkt oder den von den neuen Politnazis, die uns aus dem Quoten-TV entgegenspritzen.
In Werner Schwabs Fäkaldrama schauen drei Frauen auch in die Glotze, die ist dreckig, liefert nur schwarz-weiße Bilder – und auch das nur, wenn man im Keller die Antenne in die richtige Richtung hält. Das Trio hat das Souterrain ihres Daseins nie überwunden, also leben sie noch darin. Als Ausgleich schauen sie sich irgendwelche Messen des Papstes an. In der Inszenierung von Robert Gerloff ist das Karol Józef Wojtyła, der als Fleischer Wottila, der den Leberkäs sein Leben lang im Dauersonderangebot hat, weil ihm die Madonna erschienen ist, im Stück und im Geiste wieder auftauchen wird. „Die Menschen haben eine Gemeinschaft gemacht bei den Füßen des Heiligen Vaters“, schon beim ersten Satz aus Ernas Mund merken die Menschen im Saal, dass mit der Schwabschen Sprache etwas nicht stimmt, da drängeln sich Sprachschöpfung aus merkwürdigen Wortkausalitäten zwischen die Silben, oft grinst das Fäkale durch die Vokale. „Das Stück handelt davon, dass die Erde eine Scheibe ist“, sagte der österreichische Kultautor, der leider in der Silvesternacht 1994 vor uns geflüchtet ist – zu früh, immerhin glauben heute 12,6 Prozent der Deutschen auch wieder an die Scheibe und das wäre doch eine Flasche Wodka wert gewesen.
Gabriela Neubauer hat in der Werkstatt eine großartige Kellerwand auf die Bühne gestellt, mit siffiger Dusche, rostenden Abflussrohren und anderer ekligen Möbelaccessoires wie einer Leucht-Gipsmadonna. Hier haust Erna mit der Pelzmütze vom Müll, hier sind Grete und Mariedl zum Dauerbesuch, die eine, Hundehalterin (der Hund hinter der Bühne soll Mulle heißen und nicht Lydie), steckt bis zum Hals in erlebten privaten Katastrophen, die andere in religiöser Verzückung gern bis zu den Achselhaaren in verstopfen Kloschüsseln. Mariedl macht es natürlich „Ohne“, ohne Handschuh versteht sich, sehr zur Freude des Pfarrers übrigens. Regisseur Gerloff hat drei echte Unikate am Start, Rampensäue der alten Schule, die sich durch den Schlamm im Stück und auf der Bühne wälzen, die religiös erregt bis zum Äußersten gehen, nur drei Schauspielerinnen wie Birte Schrein als Erna, Ursula Grossenbacher als Grete und Lena Geyer als Mariedl machen sehenswerte Inszenierungen von Schwabs „Die Präsidentinnen“ eben erst möglich. Und so steuern die drei bei glucksenden Rohren, Heintjes Mama und reichlich Alkohol aufs tödliche Ave-Maria-Ende zu, denn schwacher Sinn trübt noch lange nicht die Sinne, aus Tagträumen werden Nightmares und, ja, auch ausweiden ist eine Form von Zerstreuung – für Fleischer natürlich nur.
„Die Präsidentinnen“ | R:Robert Gerloff | 2., 9., 16., 24.11. 20 Uhr | Theater Bonn, Werkstatt | 0228 77 80 08
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