Jetzt ist also wieder alles vorbei. Bis in die letzte Einstellung haben Sie, liebe Kölner, allesamt mit Bravour ihre Rollen gestemmt und, ganz im Sinne William Shakespeares, die Welt, Ihre Stadt zur Bühne gemacht. Selten spiegelt unsere Realität das Kino so kunterbunt wie im Karneval, wo sich Millionen Jecke im Heldenkostüm irgendwo zwischen FSK 0 und keine Jugendfreigabe durch einen Spielfilm ohne Drehbuch und Regie bewegen. Western, Piratenabenteuer, Schmonzette oder Flüchtlingsdrama: Jeder Laiendarsteller findet eine Rolle in diesem chronologisch durchimprovisierten Fünf-Tages-Opus – abgeliefert ohne Schnitt, aber mit so manchem Filmriss. Es ist wie im Kino: Alle gucken denselben Film, und doch sieht jeder einen anderen. Karneval. Hier darf jede und jeder alles sein, manche ziehen das große Los, andere stürzen ab. Das Leben herunter gebrochen auf fünf Tage.
Dabei verstecken sich auch im Kino die Protagonisten gern mal hinter falscher Maskerade und verwirren damit gehörig ihr Umfeld. Dass das recht blutig ausfallen kann, hatte Hitchcock bereits mit „Psycho“ dargelegt, in dem der Sohn recht munter in Mutters Maske mordet. Noch gar nicht lange her ist es dagegen, dass „Toni Erdmann“ vergleichsweise tragikomisch veranschaulicht hat, wie falsche Zähne und schlechte Perücke helfen können, sich dem entfremdeten Kind wiederanzunähern. Unterm Strich aber sind es vor allem Komödien, in denen sich die Protagonisten gern mal hinterm anderen Ich verstecken. Und um das zu erreichen, genügt dabei auch schon mal die bloße Uniform. Das hat Steven Spielberg mit „Catch Me If You Can“ eindrucksvoll vorgeführt, in dem es Leonardo DiCaprio als Hochstapler Frank Abagnale zum falschen Piloten, Oberarzt und Staatsanwalt schafft. Das Rezept: Dreistigkeit gepaart mit selbstbewusstem Auftreten. Die tragische Variante führt uns im Monat März Regisseur Robert Schwentke mit „Der Hauptmann“ vor Augen. Er erzählt die Geschichte von Willi Herold, einem deutschen Gefreiten, der sich in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs in falscher Uniform als Hauptmann ausgibt und in einem Gefangenenlager ein Massaker befehligt. Tragisch vor allem, weil es sich bei Willi Herold, das hat er mit Frank Abagnale gemeinsam, um eine historische Figur handelt. Beide Filme führen vor Augen, dass man mit Lug und Trug umso einfacher durchkommt, je eher man damit im Sinne der Geblendeten handelt. Das ist im Fall von „Der Hauptmann“ ebenso lehrreich wie erschreckend – und überhaupt hochaktuell.
Im Karneval dagegen geht so etwas ja tendenziell eher nach hinten los: Hier droht man schließlich, als offiziell Uniformierter eben nicht für voll genommen zu werden. Und Figuren, die uns auf der Leinwand das Blut in den Adern gefrieren lassen, schenkt man auf dem Zoch ein müdes Lächeln, ein Kölsch oder am Ende gar einen Kuss. Verkehrte Welt. Aber damit ist jetzt Schluss. Zumindest jenseits der Leinwand, denn im Kino begleitet sie einen ja durchs ganze Jahr: die fünfte Jahreszeit.
In diesem Sinne auch weiterhin Alaaf,
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