In Samuel Becketts „Endspiel“ scheint in Köln selbst die Welt verschwunden. Liebe, Vergebung, Mitgefühl waren es ja schon immer in der letzten verbalen Schlacht zwischen Master und Servant, zwischen Hamm und Clov, zwischen Opfer und Täter – dumm nur, dass eigentlich niemand weiß, wer dabei wer ist. Das dafür sinnstiftende Zitat stammt aus Becketts Roman „Watt“: „Denn die einzige Möglichkeit, über nichts zu sprechen, ist, darüber zu sprechen, als ob es etwas wäre“, und steht auch im Programmheft am Anfang allen Seins. Und die Welt? Die kann bei Beckett immer bis zum Schluss warten.
Die Beton-Fläche im Depot 2 wird zum Wohnraum mit etwas Matratze als Bodenbelag und einem Gemälde. In zwei, nur aufgebeamten Durchlässen scheint es gleichbleibend hell, draußen ein Meer, drinnen die Wüste. Ein interessantes Bild, wenn es nicht auch so schrecklich wäre, denn die Weite des Ozeans ist nie Spiegelbild der drinnen existierenden monde en miniature für den einen fast absurden Akt. Regisseur Rafael Sanchez setzt deshalb wohl Martin Reinke als Hamm gleich auf einen harten Küchenstuhl, der auf ein billiges Rollbrett geschraubt wurde, und Hamm, blind und bewegungsunfähig, versucht aus dieser unbequemen Haltung heraus die ziemlich absurde Kontrolle über sein Leben zu behalten. Immer zerrissen zwischen Endgültigkeit und letztem Willen. Die Tage vergehen im Dialoggewitter. Sein Endspielgegner – Bruno Cathomas als Clov – versucht alles, diesem mickrigen Tyrannen zu entkommen, doch Flucht wäre sein eigener Untergang in dieser hoffnungslosen Endzeit.
Die einzige Abwechslung im Bühnenbild kommt von einem Violin-Quartett, dass das „Endspiel“ – ein Beckett-Stück von 1957 – mit Cornelius Borgoltes Komposition glänzend musikalisch analysiert. Die meiste Zeit müssen sie sich allerdings hinter der einzigen Wand ducken, die das Reich der letzten Zocker natürlich auch nicht begrenzt. Ab und an kommen sie hervor und geben der Bewegungslosigkeit Dynamik, wie Geister schweben sie um Hamm herum, doch Einfluss haben sie natürlich nie. Auch Clov ist für Hamm eigentlich so ein Geist. Der Blinde sieht nicht, wenn der ihn karikiert, nachäfft oder auch mal ungewollt in Unterhose ein Tänzchen macht oder ihm boshaft den „heiligen“ dreibeinigen Stoffhund vorenthält. Doch Hamm testet seine Macht immer und immer wieder, bis beide daran ihren Willen verlieren. Irgendetwas geht seinen Gang. Dieser Satz schwebt durch den Raum, in dem Hamms Eltern fast beiläufig sterben. Man kann sie neben dem fast erloschenden Ölfass bedauern, doch auch ihre frühe Geschichte scheint eine gewisse Ursächlichkeit zu haben. Sanchez vertraut allein auf die Dialogmächtigkeit Becketts und sein glänzendes Duo, die Struktur des Dramas scheint eher geglättet im Hin und Her der Bewegungen und trotz der musikalischen Einschübe – die Inszenierung ist aber in sich selbst durchaus schlüssig und interessant.
Wie immer beim „Endspiel“ sucht man die eigentliche Tragik des Einakters. Alle Figuren steuern sehend auf ein eigentlich sinnloses und liebloses Finale zu. Der Reiz liegt eher im langsamen Verblassen einer grauen Welt, die sich, ihrer eigenen Unzulänglichkeit bewusst, der letzten Kritiker entledigen will, um dann im Nichts zu vergehen. Und diesen Reiz hat Sanchez in Köln ein bisschen nur mit einer Holzstange aus dem Betonfußboden gekratzt.
„Endspiel“ | R: Rafael Sanchez | 31.1., 2.2., 6.2., 27.2. 20 Uhr | Schauspiel Köln: Depot 2 | 0221 221 284 00
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