Die Print- und Onlinemedien hatten die Verdi-Premiere der „Sizilianischen Vesper“ umfänglich angekündigt, und der britische Regisseur David Pountney und die Sängerin der Hélène, Anna Princeva sich bereits im Vorfeld geäußert und neugierig gemacht auf eine echte „Grande Opéra“. In Paris, dem damaligen europäischem Zentrum der Oper, war generell ein aufwändiges Ballett gefordert, an das sich auch Größen wie Verdi zu halten hatten. Für historische Stoffe wurden prächtige Kostüme und Accessoires gebraucht, ein großartiges, teures Bühnenbild war Pflicht. Nun sollte quasi ein Klassiker der Operngattung in Bonn auf die Bretter des restaurierungsbedürftigen Hauses gehievt werden – die allgemeine Anspannung war erheblich. Zumal der ausgewiesene Verdi-Spezialist Will Humbug am Pult stand, der üblicherweise mit riesig ausladendem Dirigat die Herzen der Opernfreunde exorbitant hoch schlagen lässt. Und klar – das Werk musste natürlich in der französischen Originalsprache erklingen.
Die einzelnen Figuren der Handlung werden sehr plastisch und ergreifend dargestellt bei der „Sizilianischen Vesper“, dem Volksaufstand der Italiener gegen die französische Besatzung am Ostermontag 1282. Der Librettist Eugène Scribe, auf dem Verdi bestanden hatte, deutete die blutige Geschichte allerdings mehr in Richtung familiärer Konflikt und politischem Aufstand. Guy de Montford erkennt im Widerstandskämpfer Henri seinen eigenen Sohn, der ihn vor einem Attentat rettet. Montford befiehlt die Heirat der Verschwörer, die aber in einem Attentat endet mit überdimensionalen Sprengladungen, die eindrucksvoll unter den Großpuppen des französischen Königspaares verborgen sind. Und einem Bombenschlag, der alle tötet.
Dazu eine extravagante Sängerschar, allen voran Anna Princeva als Hélène mit begeisternd dramatischem Ton, mit wunderbarem Legato, mit kräftiger und klarer, niemals schriller Höhe. Den sizilianischen Freiheitskämpfer Henri singt Leonardo Caimi souverän und sicher, wenn auch teilweise etwas forciert. Hingegen stellt Davide Damiani wunderbar edel und unaufgeregt den Montford dar; sehr bemerkenswert das berühmte Schicksalsduett mit Caimi. Auch die übrigen Stimmkünstler Pavel Kudinov, Jeonmyeong Lee, David Fischer, Georgios Kanaris, Leonard Bernad und Martin Tzonev schlugen sich prächtig und rollengerecht, dazu ganz erstaunlich die junge Studentin Ava Gesell.
Nun stellt sich bei solchen pompösen Werken generell die Frage, wie opulent man inszeniert. Der Engländer David Pountny, auch verantwortlich für die Koproduktion in Cardiff, hat hier einen geschickten Weg gefunden, grafische Elemente in Form unterschiedlicher und beweglicher Bilderrahmen auf die Bühne zu bringen, in denen und um die herum bei sehr geschickter Beleuchtung (Thomas Roscher) das grausige Spiel von Aufstand gegen die Besatzer, ein Massaker an den Franzosen und diverse zwischenmenschliche Probleme und Beziehungen ablaufen. Die ständige Schieberei der Rahmen ist zu Beginn durchaus gewöhnungsbedürftig – um nicht zu sagen: sie nervt ein wenig – aber soll symbolisch sein für die diversen Tableaus der Handlung. Zweifellos ergeben sich optisch hübsche Momente, wenn in ihnen allerdings keine tiefere Bedeutung erkennbar ist.
Die gut beschäftigten Bühnenarbeiter hatten sich zu Recht auch einen kräftigen Sonderapplaus verdient. Gewöhnungsbedürftig war auch das singende Herrscherpaar auf meterhohen rollbaren Gestellen, äußeres Zeichen für deren Macht und Nicht-Angreifbarkeit, und später die beiden, riesige Beile schwingenden Henker. Auch Soldaten in prächtigen Uniformen, ein wenig an den Karneval der Nachbarstadt erinnernd, wurden auf den Podesten durch die Gegend geschoben. Auf jeden Fall sehr viel fürs Auge, dazu das brillante Orchester, welches nach vielen Dirigaten von Humbug durchaus als eine spezialisierte Verdi-Truppe bezeichnet werden kann. Die Krone war dann das in Bonn – nicht wie zumeist gestrichene – obligate Ballett von Caroline Finn über immerhin fast eine halbe Stunde, sehr originell und kurzweilig, wo die Vorgeschichte der Oper mittels Knochenmännern als eine Art Totentanz dargestellt wird.
Zu erleben war ein opulenter Abend, der zu Recht als „Grande Opera“ bezeichnet werden kann, mit spannender, fast ergreifender szenischer Führung der Sänger und des ausgezeichnet einstudierten Chores (Marco Medved), mit einem für Verdi glühenden Maestro Humbug, dessen Italianitá – auch wenn hier „nur“ französisch gesungen wird – blendend aus dem Orchestergraben in das lange und hoch jubelnde Publikum strömen konnte. Man darf sich auf weitere Bonner Verdi-Humburg-Abende freuen.
„Die Sizilianische Vesper“ | R: David Pountney | 23., 27., 29.6., 5.7. je 19.30 Uhr | Oper Bonn | 0228 77 80 08
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