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Wartesaal mit lebender Leiche
Foto: Tommy Hetzel

Der Tod braucht ein Visum

21. Dezember 2017

Ibrahim Amirs „Heimwärts“ im Schauspiel-Studio am Offenbachplatz – Theater am Rhein 01/18

Das Leben vor einer Grenze und vor einer Bretterwand kann ganz schön aufregend sein. Wenn da nicht zusätzlich diese quälende Warterei wäre. Die drei Personen und eine Leiche, die in Ibrahim Amirs Rolle-rückwärts-Roadmovie an der türkisch-syrischen Grenze gestrandet sind, warten sich die Seele aus dem Leib. Erst fehlt ein Beamter, dann fehlt ein Formular und dann auch noch die Unterschrift des Toten. Da kann man ja schon einmal hektisch werden, doch Stefan Bachmann hat seinen Protagonisten nur einen schmalen Streifen zur Verfügung gestellt, sie müssen hin und her wie in einem ausgerollten Hamsterrad, immer auf der Suche nach einem Ausweg, einem Loch im Verschlag, der wohl schon einmal bessere Zeiten in den 1930ern gesehen hat und statt Hektik eher oft Lethargie.

Wer jemals diese Grenze überschritten hat, weiß, dass das Szenario nichts mit einer Komödie zu tun hat, sondern immer schon blanke Realität war. Die Macht des kleinen Beamten (Yuri Englert, zwar mit Smartphone, aber auch schwarzer Lederuniform und braunen Vorlieben) kann im Niemandsland eben monströse Formen annehmen. Quälend vergeht die Zeit, quälend rauschen die Stanzen ins Feld. Natürlich ist der Beamte Hitler-Fan, auf der fast hilflosen Suche nach einer Frau, sich seiner Position bewusst. Bachmann lässt die Uhr ticken, die Sprengsätze warten schon und einer davon ist die Krankenschwester und erstaunlicherweise nicht Onkel Hussein (Axel Pape als großartige Leiche), der armselig im OP-Hemdchen über den Flur huscht, immer wieder Anekdoten (nennen wir mal die Golan-Höhen) aus seinem Leben einstreut und dann und wann auch wieder tot auf den roten Plastikstühlen hockt.

Gebrochene Biografien treffen hier auf das Sesshafte an sich und das Dramatische bricht sich Bahn durch Kanäle, die nicht immer erwartbar waren. Auf den ersten Blick versucht hier ein Neffe (Peter Miklusz als Khaled, ein kurdischer Syrer) seinen auf der Rückreise in die Heimat verstorbenen Onkel (Syrer) über die letzte Grenze nach Syrien zu bringen. Dafür hat er den österreichischen Arzt Osman (mit türkischen Wurzeln, wie man unschwer erkennen kann) und die transsexuelle Krankenschwester Simone für 20.000 Euro engagiert. Doch das Geld scheint schlecht angelegt. Statt Einreise gibt’s nur Auseinandersetzungen. Zwischen Arzt (Jörg Ratjen) und Lebensgefährtin (köstlich exaltiert: Melanie Kretschmann), zwischen Beamten und Krankenschwester und final zwischen einem autoritären und bewaffnetem Deutschtürken und Osmanen-Nationalist Bekir (Niklas Kohrt) und dem Rest der Bevölkerung des Grenzstreifens. Dass dann auch noch geputscht wird, Dr. Schiwago und eine Sachertorte zitiert wird, macht das Ganze zwar komödiantischer, aber nicht wirkungsvoller. Irgendwie scheinen dem Autor die Notizen außer Kontrolle geraten zu sein, so viele Reibungsflächen komprimiert er in die Szenerie. Nicht atemlos, sondern eher schwappend choreografiert Bachmann die Polit-Farce, bei der die Nationalisten am Ende ganz schön blöd dastehen. Also ein vergnüglicher Abend und doch, irgendwie scheint sich der Grenzübertritt in der Türkei in den Jahrzehnten vor, mit und wahrscheinlich auch nach Erdogan nicht zu verändern.

„Heimwärts“ | R: Stefan Bachmann | Sa 6.1., Fr 19.1. 20 Uhr, So 4.2.16 Uhr | Schauspiel Köln: Offenbachplatz | 0221 221 284 00

PETER ORTMANN

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